Bilderbuch Ruppichteroth

WARUM?

Die meisten von uns haben die Nazi-Zeit nicht erlebt. Die Älteren von uns – zu denen auch der Autor dieser Zeilen gehört - haben oft nicht einmal in der Schule, oft auch nicht von den Eltern  Genaueres über die Gräuel dieser Zeit erfahren, in der Millionen von Menschen allein wegen ihres Glaubens aus Deutschland (etwa 50 auch aus Ruppichteroth) fliehen mussten oder in den Konzentrationslagern ermordet wurden.
Es gibt wohl niemanden, der möchte, dass eine solche Zeit wiederkehren kann, weder in Deutschland noch in anderen Teilen der Welt. Oft muss man auch sagen: wir haben auch nicht danach gefragt. Die Nazi-Zeit war in vielen Familien in den Jahrzehnten nach Kriegsende einfach „kein Thema".
Doch auch heute leben wir wieder in einer Zeit, in der Menschen verfolgt, manchmal sogar getötet werden, nur weil sie „anders“ sind. Dagegen müssen und wollen wir uns als Bürger einer demokratischen Gesellschaft stellen und den Anfängen wehren.
Und die Erinnerung an die damaligen Taten soll uns dabei helfen, dafür zu sorgen, dass so etwas wie damals nie wieder geschieht. Die Erinnerung an die Schrecken und Folgen der Nazi-Zeit wachzuhalten, ist ein Ziel der Stolpersteine von Gunter Demnig. Mit der Verlegung  dieser 10x10 cm kleinen Steine  in Ruppichteroth können wir bei dieser Erinnerung mithelfen. 
Und dass die Nachfahren der früheren jüdischen Familien in Ruppichteroth über Tausende von km zur Verlegung der Steine für ihre ermordeten Vorfahren anreisen, zeigt uns, dass wir mit diesen kleinen Symbolen unseren kleinen, aber wertvollen und anerkannten Beitrag zur Erinnerung und zur Vermeidung leisten können.
Helfen wir mit, die Erinnerung an das Geschehene wachzuhalten, Unwissen hierüber zu beseitigen und diese Stolpersteine als Mahnung für die Zukunft zu betrachten.

 Wolfgang Eilmes, im Juli 2019 

WARUM JETZT?

Dies liegt wahrscheinlich wie so vieles im Leben am zeitlichen Zusammentreffen von verschiedenen Umständen, die die Aktion begünstigten oder sogar herausforderten.
Im Folgenden möchte ich aufzeigen, wie man sich in Ruppichteroth seit Jahrzehnten mit der jüdischen Geschichte befasst hat und wie der Weg bis hin zur Erstverlegung der Stolpersteine am 1.8.2019 verlief: 

Der Beginn der Aufarbeitung der jüdischen Geschichte in Ruppichteroth waren die Recherchen und Veröffentlichungen von Karl Schröder 

Seit ca. 1970 hat sich der 2015 verstorbene Heimatforscher Karl Schröder aus Ruppichteroth   in zahlreichen Artikeln und Büchern intensiv mit der jüdischen Geschichte von Ruppichteroth, Eitorf und dem Rhein-Sieg-Kreis befasst. Vor allem für diese Arbeiten ist er mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden, wie man in der Laudatio hierzu nachlesen kann. 

Erste private Besuche der Nachfahren der früheren jüdischen Mitbürger in Ruppichteroth

Nach dem 2. Weltkriege haben immer wieder ehemalige jüdische Mitbürger oder ihre Nachfahren Ruppichteroth besucht, meist auf privater Basis und mit privaten Kontakten.

Erste Besuche der Nachfahren der früheren jüdischen Mitbürger mit Empfang durch Bürgermeister Loskill und Begleitung durch Ehrenbürgermeister Ludwig Neuber

Erstmals 2013 besuchten Nachfahren der jüdischen Familien Tobias aus den USA Ruppichteroth. Da sie im Vorfeld Kontakt zur Gemeindeverwaltung aufgenommen hatten, wurden sie von Bürgermeister Loskill empfangen und von Ehrenbürgermeister Ludwig Neuber zu den früheren Häusern der Vorfahren, zum jüdischen Friedhof in Nümbrecht und zum Lager Much begleitet.

Artikel über den früheren jüdischen Metzgermeister Hermann Gärtner im Bilderbuch Ruppichteroth Band 1

Seit 2010 befasse ich mich mit der Geschichte von Ruppichteroth auf www.bilderbuch-ruppichteroth.de und in 2 Büchern (Bilderbuch Ruppichteroth, Band 1 und Band 2).
Dabei habe ich – nach einem der oben erwähnten Besuche – Kontakt mit einer deutschen Angehörigen der jüdischen Familie aus den USA aufgenommen und mit ihrer Hilfe einen ersten Artikel in Band 1 über  einen früheren jüdischen Mitbürger, Hermann Gärtner, geschrieben, der 1942 im KZ Auschwitz  ermordet wurde. 

Der Umgang der Ruppichterother mit dem Gedenken an die früheren jüdischen Mitbürger (Kommentar von Annette Schroeder im  KStA)

Am 2.2.2018 schrieb die Redakteurin Annette Schroeder im Kölner Stadt-Anzeiger und in der Rhein-Sieg-Kreis-Rundschau einen kritischen Kommentar über den Umgang der Ruppichterother mit ihrer jüdischen Geschichte: „Ruppichteroth tut sich schwer mit dem Gedenken an seine jüdischen Mitbürger, die in der Nazi-Zeit deportiert und in Vernichtungslagern ermordet wurden. Stolpersteine etwa, wie es sie in zahlreichen Städten gibt – etwa im benachbarten Eitorf – sucht man vergebens. Für den Passanten bleiben die Juden, die hier gelebt haben, anonym.“
Ich weiß, dass ich nicht der einzige Ruppichterother war, der Frau Schroeder auf ihren Kommentar geantwortet hat. Ich habe dies vor allem mit Hinweis auf die oben genannten Aktivitäten und zahlreiche andere (u.a. jährlicher Schweigemarsch zur Reichspogromnacht, Gedenktafel mit Namen der in den Konzentrationslagern ermordeten jüdischen Mitbürger am Ehrenmal, Gedenktafel am Eingang zum jüdischen Friedhof an der Herchener Straße) getan. Insbesondere habe ich Frau Schroeder geschrieben, dass zurzeit vielleicht so wenig an die Öffentlichkeit gelangt, weil Karl Schröder verstorben ist und niemand anderes neuere Recherchen angestellt oder veröffentlicht hat. 
Nur äußerst selten habe ich in Ruppichteroth gehört, dass man sich mit dem Thema nicht beschäftigen sollte oder wollte. Solche Einzelstimmen gab/gibt es durchaus, nie aber von irgendeiner öffentlichen Stelle oder öffentlichen Institution.

Neue Kontakte zu ehemaligen jüdischen Mitbürgern oder ihren Nachfahren in den USA 

Meine oben geschilderten Kontakte zu jüdischen Familien haben dann dazu geführt, dass ich mich näher mit dem mir bis dahin wenig vertrauten Thema befasst habe. Ich war selbst erstaunt, was man heute mit Hilfe der modernen Medien alles recherchieren kann, was früher für Karl Schröder gar nicht möglich war. Durch vielfältige Berichte, insbesondere  auch von heute noch lebenden Ruppichterothern, die in den 1930er Jahren geboren sind und zahlreichen anderen, die sich auch schon früher mit der jüdischen Geschichte in Ruppichteroth befasst hatten sowie der Unterstützung von Kreisarchivarin Dr. Claudia Maria Arndt war es mir in den letzten Jahren möglich, zahlreiche Aspekte zur jüdischen Geschichte in Ruppichteroth zu ergänzen (s. rechte Spalte).
Erst bei diesen Recherchen habe ich herausgefunden, dass ich die ersten 18 Jahre meines Lebens in einer Wohnung in der Wilhelmstraße  gewohnt habe, die meine Eltern nur deshalb beziehen konnten, weil  die Juden enteignet worden, in die USA geflohen oder im KZ ermordet worden waren.
Hatte ich in meinem ersten Buch schon ein Kapitel dem Thema „Ruppichterother im Ausland“ über freiwillig ausgewanderte Ruppichterother gewidmet, war ich nun plötzlich und zu meiner großen Überraschung in der Lage, Kontakt zu zwangsweise ausgewanderten jüdischen Personen und Familien aufzunehmen. Dies gilt bis heute für die Familien von Hermann Gärtner und Gustav Gärtner sowie Moses Hess (s. rechte Spalte).

Amerikanischer Film und 2 Bücher – mit und über jüdische Mitbürger aus Ruppichteroth  
  
Die Kontaktaufnahme zu jüdischen Familien in den USA gelang insbesondere durch den Kontakt zum amerikanischen Regisseur  Manfred Kirchheimer, der 1986 einen Film über amerikanische Juden gedreht hat, die aus Deutschland fliehen mussten. 
Und zu den am ausführlichsten interviewten Personen gehören Melitta und Walter Hess sowie Ilse Kaufherr aus der Wilhelmstraße in Ruppichteroth, die sehr ausführlich über ihre Erlebnisse in Ruppichteroth berichten:
Film:We Were So Beloved: The German Jews of Washington Heights, © 1986 by Manfred Kirchheimer
Die Interviews des Films und weitere Informationen kann man nachlesen im Buch von Manfred Kirchheimer and Gloria DeVidas Kirchheimer, We Were So Beloved: Autobiography of a German Jewish Community (University of Pittsburgh Press, 1997)

Im Oktober 2018 war ich in der Lage, den in Ruppichteroth geborenen Walter Hess in New York zu besuchen. In seinem Buch  „A Refugee‘s Journey: A Memoir“ berichtet er auf 320 Seiten von seinem Leben in Ruppichteroth, der Flucht der Familie über Holland und Ecuador sowie dem Neuaufbau des Lebens in den USA.
Am 1.8.2019 werden ein Enkel und eine Enkelin sowie 4 Urenkel von Gustav  Gärtner aus Los Angeles (USA) und  Schweden aus Anlass der Erstverlegung der Stolpersteine Ruppichteroth besuchen.
Es soll aber nicht verschwiegen werden, dass eine solche Kontaktaufnahme nicht immer erfolgreich sein muss: im Jahre 2018 habe ich nach vergeblichem Kontaktaufnahmeversuch per email den Enkel von Otto Gärtner („Trappejütt“, früher Marktstraße) in einer großen Wohnanlage in Florida aufgesucht. Weiter als bis zur Rezeption der Anlage kam ich nicht. Ohne mit mir zu sprechen, lehnte er gegenüber dem Personal jeglichen Kontakt zu Besuch aus Deutschland ab. 
Das müssen wir dann eben auch respektieren und akzeptieren.

Anfrage von jüdischer Familie > Antrag der Sekundarschule Nümbrecht Ruppichteroth > Beschluss des Gemeinderates

Die Kontakte zur Familie Tobias führten dann auch zu deren Anfrage, ob ich bei ihrem Wunsch nach Verlegung eines Stolpersteins in Ruppichteroth für Hermann Gärtner behilflich sein könne. Als ich diesen Wunsch an verschiedenen Stellen vorgetragen habe, erhielt ich sofort positive Rückmeldungen von Herrn Pfarrer Neuhaus (Evangelische Kirchengemeinde), von Ehrenbürgermeister Ludwig Neuber und Bürgermeister Mario Loskill. Unabhängig von meinen Aktivitäten, aber zeitlich parallel zu diesen Gesprächen hatten Schüler und Schülerinnen der Sekundarschule Geld für 2 Stolpersteine gesammelt, die sie am 4.7.2019 an Bürgermeister Loskill überreichten.
Auf Antrag der Sekundarschule Ruppichteroth beschloss der Gemeinderat am 2.10.2018 einstimmig, in Ruppichteroth Stolpersteine im Gedenken an die ermordeten oder vertriebenen jüdischen Mitbürger verlegen zu lassen. Die ersten 13 Stolpersteine werden am 1.8.2019 in Ruppichteroth verlegt werden.
Die große Unterstützung der Bevölkerung hat es uns ermöglicht, die nächste Verlegung von weiteren 13 Stolpersteinen (voraussichtlich im Mai/Juni 2020) zu beantragen.

Wolfgang Eilmes, im Juli 2019