Seit Wochen gibt es in ganz Deutschland Demos gegen rechts, z. B. in Eitorf, Hennef, Königswinter, Troisdorf, Niederkassel, Siegburg, Waldbröl, Morsbach und an vielen anderen Orten. Bisher leider noch nicht in Ruppichteroth, obwohl Ruppichteroth auf eine fast 100-jährige Tradition bei politischen Demonstrationen verweisen kann, allerdings mit im Laufe der Jahrzehnte sich bis ins Gegenteil verändernden Zielsetzungen.
Warum also nicht auch heute in Ruppichteroth, wo die damalige „Geschichte mit und von rechts“ für Interessierte sehr gut dokumentiert ist und viele Anlässe gibt, gegen das aufzustehen, was damals auch in Ruppichteroth sehr klein begann und zu den bekannten katastrophalen Ergebnissen führte und von dem auch in Ruppichteroth heute oft gesagt wird: Nie wieder. Never again.
Vielleicht liegt es wirklich daran, dass – wie bei allem – irgendwer den Anstoß geben muss. In anderen Orten waren dies z. B. die politischen Parteien, die Kirchen oder aber auch Privatinitiativen. Wie bilderbuch-ruppichteroth.de am Wochenende „aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen“ erfahren hat, gibt es wohl erste Bemühungen, auch in Ruppichteroth eine erste Demo stattfinden zu lassen.
Wir möchten daher hier einen kleinen Beitrag zur Geschichte der politischen Demonstrationen in Ruppichterother beisteuern.
Die ersten in den Archiven dokumentierten politischen Demonstrationen fanden in Ruppichteroth in den 1930er Jahren statt:
Nach der Gründung der Ruppichterother NSDAP-Ortsgruppe durch 5 namentlich bekannte Ruppichterother Bürger am 25.4.1930 fand in den 30er Jahren jeweils am 1. Mai (sog. „Feiertag der nationalen Arbeit“) der sog. „Aufmarsch zum 1. Mai“ statt.
„Entlang der Marschroute waren die Hausbesitzer gehalten, „in den Farben und mit den Symbolen der nationalsozialistischen Bewegung“ zu flaggen. Außer den zahlreichen Gliederungen der Partei, den gleichgeschalteten Vereinen, den Betriebsbelegschaften (den sog. Gefolgschaften) und der Beamtenschaft marschierte auch die Ruppichterother Feuerwehr mit." (Karl Schröder, Die Zivilgemeinde Ruppichteroth 1808 - 2006, S. 164)
Der Umzug stoppte an Häusern von damaligen lokalen Nazi-Größen, wo das lokale Blasorchester zum Platzkonzert aufspielte (Zeitzeugenaussage von Heinrich Schöpe, früher Velken, heute Bonn).
Bild: im Hintergrund das ehemalige Kaufhaus Schumacher an der damaligen Hauptstraße (heute Burgstraße).
Bildbeschriftung im Original: „Der Vorbeimarsch der Hakenkreuzbanner aus allen Teilen des Siegkreises, an der Spitze die Ruppichterother Kampffahne“.
Das Bild zeigt den Umzug auf der Brölstraße etwa in Höhe der heutigen VR-Bank. Das Haus im Hintergrund rechts ist das ehemalige „Haus Schorn" (u.a. war hier der Schreibwaren- und Lotto-Laden von Erwin Heinrichs, bevor das Haus in den 1970er Jahren abgerissen wurde.)
Nachdem das Abbrennen der Synagoge fehlgeschlagen war, zwangen die Nazis die erreichbaren Juden, sich vor die brennende Synagoge zu stellen, um Fotos von ihnen machen zu können. Einige riefen dazu: „Verbrennt sie. Tötet sie“.
Anschließend veranstalteten die Nazis in Ruppichteroth wie an vielen Orten in Deutschland einen Umzug durch den Ort, bei dem sie die 5 jüdischen Männer zwischen 18 und 50 Jahre vor sich her trieben und schikanierten. Ziel war die damalige Zentrale der örtlichen NSDAP im späteren Kölner Schullandheim.
Der mit seiner Familie in die USA geflohene Walter Hess, der den Tag als Kind miterlebte („Refugee’s Journey“), schreibt später über diesen Schandmarsch:
„Jemand sagte uns später, dass die alten Männer durch alle Straßen des Dorfes marschieren mußten und dass die SA-Männer dabei riefen „linker Fuß, rechter Fuß“. Dabei lachten sie und hatten Spaß. Dann mußten die alten Männer und Opa vor der Synagoge stehen, wo ein Feuer angerichtet worden war und unter dem Anblick von auf sie gerichteten Gewehren mußten sie die Bücher und die Torahs ins Feuer werfen. …
Es war schrecklich.“
Noch am selben Tag wurden die 5 Männer (Willy Gärtner, Walter Nathan, Harry Regensburger, Oskar Hess und Georg Simson (der Herbergsvater des damaligen Bröltalhauses in Schönenberg) in den beiden noch heute erhaltenen Gefängniszellen im Rathaus Ruppichteroth inhaftiert und nach einigen Stunden über Köln nach Dachau transportiert wurden,
Der Journalist Sven Felix Kellerhoff hat in seinem Buch „Ein ganz normales Pogrom – November 1938 in einem deutschen Dorf“ (Infos mit Leseprobe) am Beispiel des rheinhessischen Weindorfes Guntersblum die überall in Deutschland fast gleich – da zentral gesteuert – ablaufenden Ereignisses dieses Tages dokumentiert (mit Bildern). Den Schandmarsch in Guntersblum beschreiben jüdische Teilnehmer dort später so: “… Wir wurden stundenlang geschlagen, mit Latten, Stöcken, Eisenstücken getreten, (uns wurden) Beine gestellt, damit wir darüber stürzten, ja sogar Sand bekam ich in die Augen geworfen … Wir mussten im sogenannten Gänsemarsch marschieren, angepöbelt, vollgespuckt, mit Steinen und Sand beworfen.“ (ebd. S. 116)
Im Rahmen der Aufarbeitung der deutschen Geschichte nach dem 2. Weltkrieg fand mit dem Ruppichterother Schweigemarsch am 9. November 1982 der erste geschichtliche bzw. politische Umzug in Ruppichteroth statt. Angeregt wurde die Idee dieses Schweigemarsches 1982 nach der damaligen Ausstrahlung der Fernsehserie "Holocaust" vom ökumenischen Jugendkreis unter Leitung der beiden Pfarrer Hernot Meinhard und Harry Hendriks , nachdem sich die Jugendlichen im Jugendkreis ausführlich mit dem genannten Film beschäftigt hatten. Dieser Schweigemarsch findet seitdem in jedem Jahr am 9. November in Zusammenarbeit zwischen der Katholische und der Evangelischen Kirche sowie der Gemeinde Ruppichteroth unter reger Anteilnahme der Bevölkerung statt.
Nach Ausbruch des Ukrainekrieges fanden ab März 2022 über viele Wochen Mahnwachen am Montagabend statt, zuerst auf dem Kirchplatz der evangelischen Kirche, danach als Lichterkette zwischen Katholischer und Evangelischer Kirche.
"In Ruppichteroth rief Christina Ottersbach ebenfalls zur Mahnwache am Montagabend auf. Nach einer Ansprache durch Pfarrer Hans-Wilhelm Neuhaus sollte gemeinsam ein Lied gesungen und innegehalten werden. Dann bildeten die Menschen eine Lichterkette zwischen den beiden Kirchen im Ruppichterother Oberdorf . Jeder solle „ein Licht des Friedens für unsere Welt“ mitbringen, hieß es in der Einladung – und dazu einen Schal, um eine Menschenkette von Hand zu Schal zu bilden."
General-Anzeiger 28.2.2022