Bilderbuch Ruppichteroth

Auf dieser Seite finden Sie die am 3.6.2023 gehaltenen Grußworte und Reden. Sie finden hier auch die englischen Versionen für die Gäste aus den USA und Schweden sowie für andere Verwandte der früheren jüdischen Familien in Ruppichteroth, die sich auf bilderbuch-ruppichteroth.de über die Ereignisse in Ruppichteroth informieren.

Vielen Dank an die Autoren, die ihre Reden zur Veröffentlichung hier zur Verfügung gestellt haben. Dies sind:

  • Bürgermeister Mario Loskill
  • Ehrenbürgermeister Ludwig Neuber

Ansprache von Bürgermeister Mario Loskill

Grußwort von Bürgermeister Mario Loskill, gesprochen bei der Verlegung der Stolpersteine am 3.6.2023 in Ruppichteroth am Haus Hess, Wilhelmstraße 7:

Liebe Bürgerinnen und Bürger aus unserer Gemeinde Ruppichteroth und aus vielen Kommunen aus unserer Region, liebe Gäste aus den USA und Schweden, hier sind die Töchter, Söhne und eine Enkelin der geflohenen Familien Gärtner und Hess besonders zu nennen, da zur Erinnerung ihrer verfolgten Familien heute die Stolpersteine verlegt werden, liebe Vertreterinnen und Vertreter der Presse, der Vereine, der Kirchen und Schulen und weiteren Institutionen, die der Einladung zur heutigen Verlegung der Stolpersteine gefolgt sind. Seien sie alle herzlich gegrüßt und ein großes Dankeschön für Ihr Kommen. Sie erweisen der jüdischen Geschichte in Ruppichteroth sowie den schrecklichen Taten der Ermordung und Verfolgung von jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern während der NS-Zeit ein würdiges Erinnern und Mahnen.
Der Besuch der Familien aus den USA und Schweden nehme ich zum Anlass den Angehörigen der Familie Hess an dieser Stelle im Namen des Gemeinderates und der Gemeindeverwaltung Ruppichteroth und ich ganz persönlich mein herzliches Beileid und meine herzliche Anteilnahme am Tod von Herrn Walter Hess auszusprechen. Er verstarb im Alter von 91 Jahren bereits am 25. Dezember 2022 in New York, wohin er aus seiner innigen Heimat Ruppichteroth fliehen musste. Herr Walter Hess hatte den Kontakt zur alten Heimat nie abreißen lassen. Schön, dass Angehörige seiner Familie heute in die alte Heimat zurückgekehrt sind.
Nachdem am 1. August 2019 erstmalig 13 Stolpersteine zur Erinnerung an die jüdischen Opfer der NS-Zeit in Ruppichteroth vom Künstler Gunter Demnig verlegt wurden, werden heute, hier im Ortskern von Ruppichteroth, von ihm weitere 18 Stolpersteine verlegt.
Die ehemaligen jüdischen Mitbürger von Ruppichteroth gehörten immer zur Jüdischen Synagogengemeinde Nümbrecht. Eine eigenständige Ruppichterother Synagogengemeinde gab es nie, auch wenn dies gelegentlich anders dargestellt wird. Die Ruppichterother Juden hatten jedoch von 1921 – 1938 eine eigene Synagoge.
Die Synagogengemeinde Nümbrecht war seit 1791 die religiöse Heimat der jüdischen Bevölkerung von Nümbrecht, Ruppichteroth und Waldbröl.
85 Jahre später, am heutigen 3. Juni 2023, findet nun erstmals wieder eine gemeinsame Veranstaltung zur jüdischen Geschichte in Zusammenarbeit der Gemeinde Ruppichteroth, des Freundeskreises Nümbrecht - Mateh Yehuda und der Oberbergischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit statt.
Aus diesem Grunde darf ich heute im Besonderen viele Vertreterinnen und Vertreter der Kommunen (stellv. Bürgermeisterinnen und Bürgermeister) aus Nümbrecht, Ruppichteroth und Waldbröl sowie von jüdischen Vereinen bzw. Freundeskreisen aus den drei genannten Kommunen sowie aus der Stadt Wiehl herzlich willkommen heißen. Gleichzeitig begrüße ich im ganz besonderen den Künstler, Herrn Gunter Demnig, der persönlich die Stolpersteine verlegt, die aus seiner Idee und aus seinem großartigen Wirken entstanden sind. Eine Ehre für die Gemeinde Ruppichteroth, die durch seinen persönlichen Vortrag am Abend abgerundet wird.
Es ist schön, ebenfalls Vertreter der Sekundarschule Nümbrecht-Ruppichteroth und der Gesamtschule Neunkirchen-Seelscheid begrüßen zu können, die durch ihre jeweiligen Projekte die Verlegung der Stolpersteine und die Aufarbeitung der jüdischen Geschichte in Ruppichteroth seit Jahren begleiten. Ein letztes großes Dankeschön an Historiker Wolfgang Eilmes und Ehrenbürgermeister Ludwig Neuber, die ebenfalls seit Jahren intensiv die Verlegung der Stolpersteine sowie viele weitere Aktionen und Aktivitäten rund um die jüdische Geschichte in Ruppichteroth hervorragend unterstützen.
Die Verlegung der Stolpersteine durch Künstler Gunter Demnig, hier in der Marktstraße 3, wird anschließend in der Wilhelmstraße 17 und 7 fortgesetzt.
Gleichzeitig darf ich auf den Vortrag von Herrn Demnig in der Sekundarschule in Ruppichteroth ab 19:00 Uhr hinweisen. Der Eintritt ist frei.
Zu Beginn dieser Vortrags-Veranstaltung wird ein 15-minütiger Film („Never again“) des professionellen schwedischen Filmemachers Michael Gartner  über die erste Stolpersteinverlegung 2019 in Ruppichteroth gezeigt (= Urenkel der ermordeten Gustav und Mathilde Gärtner, Enkel des geflohenen Herbert Gärtner und Sohn von Ron Gartner, der bei der Veranstaltung heute anwesend ist).
Anschließend wird Herr Demnig einen Lichtbildervortrag zum Thema "STOLPERSTEINE – SPUREN und WEGE" halten. Gunter Demnig, der in der letzten Woche seinen 100.000 Stolperstein verlegt hat, skizziert in seinem Vortrag seinen künstlerischen Werdegang seit 1968 einschließlich des Projekts STOLPERSTEINE.
Das Projekt Stolpersteine in Ruppichteroth wird komplett aus Spendenmitteln finanziert. Die Zielmarke für die nächsten Jahre ist die Verlegung von insgesamt 49 Stolpersteinen für alle ehemaligen jüdischen Ruppichterother Mitbürger, die ermordet wurden oder die ihr Leben nur durch Flucht retten konnten.
Abschließend nochmals ein herzliches Dankeschön an alle Beteiligten, die zum Gelingen des heutigen Tages bei der Verlegung der Stolpersteine und zum Vortrag heute Abend mitgewirkt haben.
Insgesamt betrachtet dient der heutige Tag an das Erinnern an die schrecklichen Ereignisse im 2. Weltkrieg an unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger in Ruppichteroth, die hier gelebt und ihre Mitmenschen und unseren Ort geliebt haben. Sie wurden vertrieben, verfolgt und im schlimmsten Fall ermordet. Menschen, wie Du und ich, die Familie und Freunde hier in Ruppichteroth hatten; von heute auf morgen nicht mehr vor Ort waren oder wenn noch im Ort, verachtet wurden. Welche schlimmen Gefühle entstehen noch heute, wenn wir daran denken, wie sich unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger damals gefühlt haben müssen. Ein unglaubliches und unmenschliches Unrecht, was geschah und immer noch in unseren einen Welt geschieht. Lassen wir weiter am Frieden, an ein Miteinander arbeiten, lassen wir weiter Mahnen und immer wieder an die schrecklichen Ereignisse in der NS-Zeit erinnern. Diese Geschehnisse an unseren jüdischen Bürgerinnen und Bürger dürfen nie wieder geschehen – nie wieder und gerichtet an unsere liebe Gäste aus den USA und Schweden: Nie wieder - Never again.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

 

Speech by Mayor Mario Loskill

Speech by Mayor Mario Loskill
On the occasion of  the second laying of stumbling stones in Ruppichteroth on June 3rd, 2023

Dear citizens of our community of Ruppichteroth and from many communities in our region, dear guests from the USA and Sweden,
Here the daughters, sons and a granddaughter of the escaped families Gärtner and Hess deserve special mention.
As a reminder of their persecuted families today the stumbling stones are being laid, dear representatives of the press, associations, churches and schools and other institutions, who have accepted the invitation to the laying of  the stumbling stones today.
Greetings to all of you and a big thank you for your coming.
Your presence is a worthy reminder and admonition of Jewish history in Ruppichteroth and of the terrible acts of murder and persecution of Jewish fellow citizens during the Nazi era.

The visit of the families from the USA and Sweden is an opportunity for me to express my heartfelt condolences and my heartfelt sympathy to the members of the Hess family on behalf of the municipal council and the municipal administration of Ruppichteroth and myself on the death of Mr. Walter Hess. He died at the age of 91 on December 25, 2022 in New York, where he and his family had to flee from his dear home of Ruppichteroth. Mr. Walter Hess never let the contact with his old homeland break off. It's an honor for us that members of his family have returned to the family’s old homeland today.

After the artist Gunter Demnig laid the first 13 stumbling stones in memory of the Jewish victims of the Nazi era in Ruppichteroth on August 1, 2019, he is laying another 18 stumbling stones today, here in the center of Ruppichteroth.
The former Jewish fellow citizens of Ruppichteroth always belonged to the Jewish synagogue community in Nümbrecht. There was never an independent Ruppichteroth synagogue community, even if this is occasionally portrayed differently. However, the Ruppichterother Jews had their own synagogue from 1921 to 1938.
Since 1791, the Nümbrecht synagogue community has been the religious home of the Jewish population of Nümbrecht, Ruppichteroth and Waldbröl.
85 years later, on June 3, 2023, a joint event on Jewish history will take place again for the first time in cooperation with the Ruppichteroth community, the Nümbrecht - Mateh Yehuda Friends Group and the Oberberg Society for Christian-Jewish Cooperation.
For this reason I would like to extend a warm welcome today to many representatives of the municipalities (deputy mayors) from Nümbrecht, Ruppichteroth and Waldbröl as well as Jewish associations and groups of friends from the three municipalities mentioned and from the city of Wiehl.

At the same time, I particularly welcome the artist, Mr. Gunter Demnig, who is personally laying the stumbling stones that arose from his idea and his great work. This is an honor for the community of Ruppichteroth, which is rounded off by his personal presentation in the evening.
It is nice to also be able to welcome representatives of the Nümbrecht-Ruppichteroth secondary school and the Neunkirchen-Seelscheid comprehensive school, who have been supporting the laying of the stumbling stones and the processing of Jewish history in Ruppichteroth for years with their respective projects. One last big thank you to historian Wolfgang Eilmes and honorary mayor Ludwig Neuber, who have also been providing excellent support for the laying of the stumbling stones and many other campaigns and activities related to Jewish history in Ruppichteroth for years.
The laying of the stumbling stones by artist Gunter Demnig, here at Marktstraße 3, will be continued at Wilhelmstraße 17 and 7.
At the same time I would like to point out the lecture by Mr. Demnig in the secondary school in Ruppichteroth at 7:00 p.m. Admission is free.
At the beginning of this lecture event, a 15-minute film ("Never again") by the professional Swedish filmmaker Michael Gartner will be shown about the first Stolperstein laying in Ruppichteroth in 2019. Michael Gartner is the great-grandson of the murdered Gustav and Mathilde Gärtner, grandson of the escaped Herbert Gärtner and son of Ron Gartner, who is present at today's event. Welcome Mr. Ron Gartner and wife.
After this film Mr. Demnig will give a slide show on the subject of "STOLPERSTEINE - TRACKS and PATHS". Gunter Demnig, who laid his 100,000th (=one hundred thousandth) stumbling stone last week, will outline his artistic career since 1968, including the STOLPERSTEINE project.
The Stolpersteine project in Ruppichteroth is financed entirely by donations. The goal for the next few years is to lay a total of 49 stumbling stones for all former Jewish fellow citizens of Ruppichteroth who were murdered or who could only save their lives by fleeing.
Finally, a heartfelt thank you again to everyone involved in the success of today's laying of the stumbling stones and the lecture tonight.
Overall, today is a day to remember the terrible events of World War II to our Jewish fellow citizens in Ruppichteroth, who lived here and loved their fellow human beings and our twon. They were expelled, persecuted and, in the worst case, murdered. They were people like you and me who had family and friends here in Ruppichteroth; from one day to the next they were no longer here or, if they were still here, were despised. What bad feelings still arise today when we think about how our Jewish fellow citizens must have felt back then. It was an  unbelievable and inhuman injustice that happened and is still happening in our one world. Let's continue to work for peace and togetherness, let's continue to remind people of the terrible events of the Nazi era. These events to our Jewish citizens must never happen again - never again and addressed to our dear guests from the USA and Sweden: Never again - never again.
Thank you for your attention.

Ansprache von Ehrenbürgermeister Ludwig Neuber

Grußwort von Ehrenbürgermeister Ludwig Neuber - gehalten am ehemaligen Haus der Familie Gärtner, Marktstraße 3

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Jugendliche,
nach der 1. Stolpersteinverlegung in Ruppichteroth vor fast vier Jahren, genau am 01. August 2019, ist dies heute bei uns die 2. Verlegung von Stolpersteinen durch den Künstler Gunter Demnig, der diese Aktion inzwischen über 1.000 mal in Deutschland und darüber hinaus durchgeführt hat.
Abschließen wird er seine Aktion heute Abend ab 19.00 Uhr in der Mensa der Sekundarschule in Ruppichteroth mit einem Lichtbildervortrag zum Thema „Stolpersteine - Spuren und Wege". Dazu möchte auch ich Sie alle ganz herzlich einladen.
Es ist eine große Ehre für mich, hier und heute als Ehrenbürgermeister der Gemeinde Ruppichteroth wieder ein Grußwort an Sie richten zu dürfen. Dabei möchte ich heute wie damals darauf bedauernd hin weisen, dass es lange, sicher für viele zu lange gedauert hat, bis wir in Deutschland, auch wir hier in Ruppichteroth, die Kraft und den Mut gefunden haben, uns mit unserer Geschichte während der Nazizeit auseinanderzusetzen.
Es waren zunächst der unvergessene Ruppichterother Heimatforscher Karl Schröder und Pfarrer Harry Hendriks, die mit ihren historischen Forschungen und Veröffentlichungen unsere Heimatgeschichte aufarbeiteten. Dazu zählte im Besonderen die Geschichte der jüdischen Mitbürger in der Gemeinde Ruppichteroth.
Das Ende dieser Geschichte ist eines der dunkelsten und traurigsten Kapitel in unserem Land und auch in der Gemeinde Ruppichteroth.
Heute leben keine Juden mehr im Bröltal, weil alle jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die nicht vor den Nazis fliehen konnten, von ihnen ermordet wurden. Damit diese aber nicht vergessen werden und uns immer wieder erinnern und mahnen, dass so etwas nie wieder geschieht, setzen wir die Stolpersteine, die von Bürgern gespendet und von Herrn Demnig verlegt werden.
Ich freue mich, dass, wie bei der ersten, jetzt auch bei der zweiten Stolpersteinverlegung wieder jüdische Gäste aus den USA und aus Schweden bei uns sind, deren Vorfahren in Ruppichteroth lebten und die noch rechtzeitig vor den Nazis fliehen konnten.
Es sind Nachkommen der Familien Hess und Gärtner. Alle Angehörigen beider Familien, die nicht fliehen konnten, wurden von den Nazis ermordet.
Seit über 40 Jahren erinnern die Ruppichterother Bürger, organisiert und aufgerufen durch den Bürgermeister, die beiden Kirchen und den Bürgerverein jedes Jahr mit einem Schweigemarsch am 09. November an die sog. „ReichskristallnachC in der auch die Ruppichterother Synagoge von Nazis angezündet worden ist. Weil „Bergische Grauwacke" jedoch nicht brennt, blieb das Synagogen-Gebäude als eines der wenigen, ich denke, das einzige in der ganzen Region bis heute erhalten.
Den Anstoß zum jährlichen Schweigemarsch gaben vor über 40 Jahren die Jugendlichen vom ökumenischen Jugendkreis Ruppichteroth, der ausgehend von einer unserer Kirchen zur ehemaligen Synagoge hier an der Wilhelmstraße führt, wo ein Kranz zum Gedenken niedergelegt wird und dann weitergeht zum ehemaligen jüdischen Friedhof an der Herchener Straße.
Es ist für mich als ehemaliger Lehrer und Rektor besonders erfreulich, dass es vor rd. vier Jahren wieder Jugendliche waren, diesmal von unserer Sekundarschule in Ruppichteroth, die den Antrag an den Rat der Gemeinde stellten für alle ermordeten jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger Stolpersteine zu verlegen. Dankbar bin ich dem Bürgermeister und Rat, dass sie damals einstimmig diesem Antrag folgten.
Ich danke an dieser Stelle Herrn Gunter Demnig und allen, die auch diese Aktion wieder als Paten unterstützen, vor allen erneut Herrn Wolfgang Eilmes für die ganzen Recherchen, die Kontakte und die ganze Organisation.
Herrn Wolfgang Eilmes gelang es in den letzten Jahren über unsere eigene jüdische Geschichte hinaus durch die Zusammenarbeit mit der Gemeinde Ruppichteroth und dem Freundeskreis Nümbrecht-Mateh Yehuda sowie der Oberbergischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit die Initiativen in den drei Gemeinden Nümbrecht-Ruppichteroth-Waldbröl zusammenzubringen.
Diese Kontakte haben inzwischen sogar zur Zusammenarbeit geführt mit dem in Köln neu gegründeten Verein „Jüdisches Leben in Europa". Ich erwähne dies hier und heute und an dieser Stelle, weil durch die Anregung des jüdischen Ehepaares Reinecke aus Nümbrecht aufbauend auf der Aktion „Stolpersteine" die Idee „Grundsteine" geboren wurde.
Das heißt: Während der „Stolperstein" uns an die schrecklichen Geschehnisse der Vergangenheit erinnert und mahnt, soll der „Grundstein" ein Symbol sein für eine positive gemeinsame Zukunft in Toleranz und Frieden in Deutschland, Europa und der Welt.
Im Zentrum steht dabei die ehemalige Synagoge hier an der Wilhelmstraße, die wir gern mit einem Begegnungs-, Tagungs- und Bildungszentrum für die ganze Bevölkerung ergänzen möchten.
Schon heute bietet Herr Eilmes Führungen an, z.B. für Schulen, um Jugendliche vor Ort zu informieren über die Geschehnisse in der Nazizeit auch hier in Ruppichteroth und um sie zu mahnen, wachsam zu sein, dass so etwas nie wieder geschieht: „Never again!"
Wenn wir aber nicht wollen, dass sich so etwas wiederholt, an das wir heute mit der Verlegung der Stolpersteine erinnern, dann müssen wir täglich dem Hass und der Gewalt vor allem gegen Minderheiten in unserem Land mit Toleranz und Zivilcourage entgegentreten.
Ich darf uns daher alle heute wie damals auf ruf en, unsere Grund- und Menschenrechte zu bewahren, stets nach dem 1. Satz unseres Grundgesetzes, das im Jahre 1949 nach den Schrecken der Nazidiktatur und des Krieges geschrieben wurde, dort heißt es: „Die Würde des Menschen ist unantastbar!"
In diesem Sinne danke ich Herrn Demnig und Ihnen meine Damen und Herren, liebe Jugendliche, für die Aufmerksamkeit.

Words of Welcome by Honorary Mayor Ludwig Neuber

Words of Welcome by Honorary Mayor Ludwig Neuber, spoken in front of the former Gärtner house at Marktstraße 3 on June 3, 2023

Ladies and gentlemen, dear young people,
after the first stumbling stones were laid in Ruppichteroth almost four years ago, exactly on August 1st, 2019, this is the 2nd laying of stumbling stones by the artist Gunter Demnig, who has now carried out this action more than 100.000 (= one hundred thousand) times in Germany and beyond .
He will conclude his activities in Ruppichteroth this evening from 7:00 p.m. in the canteen of the secondary school in Ruppichteroth with a slide show on the topic "Stumbling Stones - Traces and Paths". I would also like to cordially invite you all.
It is a great honor for me to be able to greet you again today as honorary mayor of the municipality of Ruppichteroth. Today, as then, I would like to regretfully point out that it took a long time, certainly too long for many, until we in Germany, including us here in Ruppichteroth, found the strength and courage to deal with our history during the Nazi era.
It was initially the unforgotten Ruppichterother local researcher Karl Schröder and Pastor Harry Hendriks who processed our local history with their historical research and publications. This included in particular the history of the Jewish fellow citizens in the community of Ruppichteroth.
The end of this story is one of the darkest and saddest chapters in our country and also in the community of Ruppichteroth.
Today, no Jews live in the Bröltal any more, because all Jewish fellow citizens who could not flee from the Nazis were murdered by them. But in order for them  not to be forgotten and in order to remind us again and again that something like this may never happen again, we lay the stumbling stones, which are donated by citizens and laid by Mr. Demnig.
I am pleased that, as with the first and now also with the second Stolperstein laying, Jewish guests from the USA and Sweden are with us again, whose ancestors lived in Ruppichteroth and who were able to flee from the Nazis in time.
They are descendants of the Hess and Gärtner families. All members of both families who could not escape were murdered by the Nazis.
For more than 40 years, the citizens of Ruppichteroth, organized and called upon by the mayor, the two churches and the citizens' association, have held a silent march every year on November 9th to commemorate the so-called "Reichskristallnacht" in which the Ruppichteroth synagogue was also set on fire by the Nazis. However, because "Bergische Grauwacke" does not burn, the synagogue building is one of the few, I think the only one in the whole region that has survived to this day.
The impetus for the annual silent march was given more than 40 years ago by the young people from the ecumenical youth group Ruppichteroth. This march  leads from one of our churches to the former synagogue here on Wilhelmstraße, where a commemorative wreath is laid and then continues to the former Jewish cemetery on Herchener Straße .
As a former teacher and rector, I am particularly pleased that about four years ago it was again young people, this time from our secondary school in Ruppichteroth, who submitted the application to the community council to lay stumbling stones for all murdered Jewish fellow citizens. I am grateful to the mayor and the community council that they unanimously followed this request at the time.
I would like to take this opportunity to thank Mr. Gunter Demnig and all those who support this campaign as sponsors, especially Mr. Wolfgang Eilmes again for all the research, the contacts and the whole organization.
In recent years, Mr. Wolfgang Eilmes has succeeded in bringing together the initiatives in the three communities of Nümbrecht-Ruppichteroth-Waldbröl, beyond our own Jewish history, through cooperation with the community of Ruppichteroth and the Friends of Nümbrecht-Mateh Yehuda and the Oberberg Society for Christian-Jewish Cooperation .
In the meantime, these contacts have even led to cooperation with the association "Jewish Life in Europe", which was recently founded in Cologne. I mention this here and now at this place, because the by  Jewish couple Reinecke from Nümbrecht the idea of "Foundation Stones" was born based on the idea mof the „stumbling stones”.
That means: While the "Stolpersteine" remind and warn us of the terrible events of the past, the "Foundation Stones" should be symbols of a positive future with tolerance and peace in Germany, Europe and the world.
The focus is on the former synagogue here on Wilhelmstraße, which we would like to supplement with a meeting, conference and education center for the entire population.
Mr. Eilmes already offers guided tours, e.g. for schools, to inform local young people about what happened during the Nazi era here in Ruppichteroth and to remind them to be vigilant that something like this will never never happen again: "Never again!"
But if we do not want something like this to happen again, which we are commemorating today by laying the stumbling blocks, then we must counter the hatred and violence, especially against minorities, in our country with tolerance and moral courage every day.
I can therefore call on all of us today, as then, to preserve our fundamental and human rights, always in accordance with the first sentence of our Basic Law, which was written in 1949 after the horrors of the Nazi dictatorship and the war: „Human dignity is inviolable!"
With this in mind, I would like to thank Mr. Demnig and you, ladies and gentlemen, dear young people, for your attention.

Rede von Pastor Hans-Wilhelm Neuhaus (Evangelische Kirchengemeinde)

Rede von Pastor Neuhaus, gehalten vor dem früheren Haus der Familie Gärtner in der Wilhelmstraße 17 
Die vollständige Rede von Pastor Neuhaus wird Ende August hier veröffentlicht. Sie finden hier und jetzt einige Auszüge aus seiner Rede. Zu Beginn interpretiert Pastor Neuhaus  die Schrift und die Unterschrift von Simon Gärtner (Vorsitzender) auf der 1900 unterzeichneten Gründungsurkunde des Synagogenvereins.

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Mitglieder der Familie Gärtner,
……
Simon Gärtner  unterschreibt bereits in gestochen sauberer lateinischer Schrift und nicht im damals üblichen Sütterlin und ist damit der Zeit voraus.
Von den 14 Unterschriften waren 8 verschiedene Männer der Gärtners Unterzeichnende,was zeigt, wie groß der Einsatz der Familie Gärtner in punkto Gebetshaus und jüdischem Kult gewesen ist.
Gustav Gärtner hat mit schwungvoller Unterschrift, mit Serifen den Vertrag unterschrieben. Das zeigt uns: er war ein einfühlsamer Mann, er hatte eine poetische Ader.
Manches von dieser einfühlsamen Art hat er an seinen Sohn  Herbert weitergegeben, dessen Kinder heute hier stehen.
Die Gärtners haben ihre Kinder in die evangelische Schule geschickt,die in  direkter Nachbarschaft zum Wohnhaus lag. Gustav Gärtner hatte engen Kontakt zu verschiedenen evangelischen Gemeindemitgliedern, wie zum Beispiel dem regimekritischen Gustav Seuthe, der damals wichtige Urkunden und Wertgegenstände u.a. von Herrn Gärtner erhielt, die später über Herrn Bendix wieder
den Nachfahren zugänglich gemacht wurden.
Gustav Gärtner hatte auch zum benachbarten Malermeister Altwicker guten Kontakt, der vorübergehend auch Leiter der Freiwilligen Feuerwehr gewesen ist, aber auch mehrfach half eingeworfene Scheiben der Gärtners zu reparieren.

Es gibt persönliche Notizen von Walter Schenk, der mit seinem Vater sonntags gegen 10.30 Uhr, wenn die Straßen leer waren, weil die einen zum Gau-Treffen gingen und die anderen in den christlichen Gottesdiensten waren, seine jüdischen Nachbarn schnell hereinließ um Lebensmittel zu tauschen bzw. um ein paar Trostworte zu wechseln. Auch Gustav Gärtner war einer seiner regelmäßigeren Besucher.

Schon seit 25 Jahren besuche ich persönlich am 9. November die Gräber auf dem jüdischen Friedhof an der Herchener Straße zur Erinnerung an unsere früheren jüdischen Mitbürger. Wir legen im Rahmen des Schweigemarsches dort einen Kranz und hören meist einen Psalm, der unseren gemeinsamen Glauben verbindet.

Ich persönlich kann nur versprechen mich weiterhin für eine Ökumene mit den Juden einzusetzen. Meine eigene Vorfahren sind polnische Juden, die zwangsweise missioniert und letztlich gegen ihren Willen Christen wurden. Meine Großmutter war eine geborene Kaftan.
Die Aussöhnung von Juden und Christen, die Ausbreitung von Toleranz bzw. der Einsatz für mehr Toleranz zu anders Gläubigen scheint mir ungebrochen wichtigt.
Dafür werden ich weiter einstehen. 

Gott segne Sie. 

Schalom
 

Words of Welcome by Pastor Hans-Wilhelm Neuhaus (Protestant Church)

Excerpts from the „Words of Welcome” by Pastor Hans Wilhelm Neuhaus (Protestant Church) held in front of the former Gärtner House, Wilhelmstraße 17. At the beginning Pastor Neuhaus refers to the founding document of the synagogue and the signature of the grandfather of Susan and Ron who signed as chairman.

Ladies and gentlemen,
Dear members of the Gartner family,
……..
Simon Gartner signs this document in razor sharp clean Latin script rather than the old Sutterlin script that was used by most writers at that time. Doing so he shows that he is ahead of his time.
Of the 14 signatures 8 belong to different members of the Gartner families which shows the deep commitment of the Gärtner families to the house of prayer and Jewish cult.
Simon Gärtner has signed the treaty with his peppy signature. This shows us: he was an empathetic man, he had poetic veins. 

He transferred some of this on his son Herbert two of whose children are standing here today.
Their father Gustav Gärtner sent his children to the Protestant school, which was located right behind their house. He had good contacts to various members of the Protestant community, e.g. Gustav Seuthe, a man very critical of the regime who secretly stored important documents and valuable personal belongings that were later given to the descendants by the Jewish trustee Mr. Bendix.
Gustav Gärtner also had good contacts to neighboring painter Gustav Altwicker  who was head of the fire department for some time and also helped repair smashed windows.
The church archives have  personal notes of  Walter Schenk who with his father – while some others were at party meetings and others were in the church services -   let his Jewish neighbors in to exchange wares and food and a few words of consolation. Gustav Gärtner was one of his regular visitors.
….
For 25 years I have personally visited the graves of our former Jewish citizens on the Jewish cemetery at Herchener Straße on Nov. 9 every year. After silent march starting at one of our churches we stop at the synagogue and then lay down a wreath and listen to a psalm which connects our common beliefs.
Personally I can only promise to keep on working hard for ecumenism with the Jewish community.
My own ancestors are Polish Jews who were proselytized by force and finally became Christians against their will. My grandmother was a born Kaftan.
Reconciliation of Jews and Christians, the spreading of tolerance or rather the commitment to more tolerance seems to me to be of unbroken importance. 

That I will stand for now and in future.
God bless you.
Shalom.  
 

Rede von Markus Neuber, Regionaldirektor VR-Bank Rhein-Sieg

Rede von Markus Neuber Regionaldirektor VR-Bank Rhein-Sieg, gehalten bei der Verlegung der 5 Stolpersteine vor der heutigen VR-Bank Rhein-Sieg (ehemals Haus  Nathan)

Ich möchte als Regionaldirektor der VR-Bank Rhein-Sieg eG gerne ein paar kurze Worte über den Verstorbenen, den von den Nazis grausam Ermordeten, Julius Nathan sagen. 
Vorab möchte ich erwähnen, dass es für uns als VR-Bank eine Selbstverständlichkeit und Ehre zugleich ist, die Patenschaft über den Stolperstein für Julius Nathan zu übernehmen. 
Julius Nathan – geboren am 07.08.1876 in Ruppichteroth und verheiratet mit der am 10.12.1936 verstorbenen Ida Nathan - war Viehhändler und wohl in den 30er Jahren einer der größten Landwirte in Ruppichteroth. Wie im Bilderbuch Ruppichteroth von Autor Wolfgang Eilmes nachzulesen ist, galt Herr Nathan als sehr fairer Kaufmann. Die Viehkaufgeschäfte wurden damals in Waldbröl auf dem Viehmarkt per Handschlag gemacht. Julius Nathan war einer der wohlhabensten Einwohner von Ruppichteroth und hatte neben einigen anderen bereits ein Auto. Dieses wurde aber unter der Naziherrschaft von den Ordnungsbehörden konfisziert. 
Herr Nathan wurde am 18.06.1941 ins Lager Much eingeliefert und von dort nach Köln (Messehallen) deportiert. Wie sich Heinrich Schöpe (ehemaliger Einwohner aus Velken, jetzt Bonn) erinnerte, verabschiedete sich Julius Nathan auf dem Viehmarkt von Schöpes Vater mit den Worten: „Ja, Karl. Jetzt sehen wir uns zum letzten Mal!“ Ein trauriger Abschied und für mich eine furchtbare Vorstellung, wenn ein Mensch erahnt, welch grausamen Weg er nehmen wird.

Julius Nathan kam ins KZ Weimar - Buchenwald. Dort wurde er am 08.07.1942 im Alter von 66 Jahren „auf der Flucht erschossen“. Ein Dokument, welches Herrn Wolfgang Eilmes vorliegt, bestätigt, dass Julius Nathan durch Schüsse in Kopf und Rücken getötet wurde. 

Ich schäme mich für die Mörder und für das Naziregime.
Und ich schäme mich dafür, dass die Menschenverachtung in Teilen Deutschlands, Europas und der Welt wieder Einzug gefunden hat.

 

Speech by Markus Neuber, regional director of VR-Bank Rhein Sieg eG

Speech by Markus Neuber, regional director of VR-Bank Rhein Sieg eG, held on the occasion of the laying of 5 stumbling stones in front of the VR-Bank Rhein Sieg (former house of Julius Nathan)

As regional director of VR-Bank Rhein-Sieg I would like to say a few words about Julius Nathan who was cruelly murdered by the Nazis.
Let me stress that for us as VR-Bank Rhein Sieg eG it was self-evident and at the same time an honor to take over the sponsorship for the stumbling stone for Julius Nathan.

Julius Nathan, born on August 7, 1876 in Ruppichteroth  and married to Ida Nathan (died on December 10, 1936) was a cattle trader and one of the largest farmers in Ruppichteroth in the 1930s. As you can read in „Bilderbuch Ruppichteroth" by author Wolfgang Eilmes Julius Nathan had a reputation as a fair tradesman. At that time cattle deals were made at the cattle market in Waldbröl by handshake. Julius Nathan was one of the wealthiest persons in Ruppichteroth. He - like 4 other businessman in Ruppichteroth - even had a car which was finally confiscated by the Nazi authorities.

Julius Nathan was interned in the camp in Much on June 16, 1942 and then deported  from there to Cologne (Messehallen). As Heinrich Schöpe (former citizen of Ruppichteroth-Velken) remembers Julius Nathan came to say good bye to Schöpe`s father the day before he was taken to the Much camp:„Well, Karl we will not see each other again."

What a sad farewell and for me a terrible thought when you imagine what this man must have gone through knowing what cruel way he would be forced to take.

Julius Nathan was deported to the concentration camp Weimar-Buchenwald where he was „shot while trying to flee" on July 7, 1942 at the age of 66 years.

A document that Wolfgang Eilmes recently discovered confirms that he was shot in the back of his head and his back.

I am ashamed of the murderers and of the Nazi regime.
And I am ashamed that the misanthropy of minorities is again spreading in parts of Germany, Europe and the rest of the world.

 

Grußwort von Daniela Tobias (Solingen)

Grußwort von Daniela Tobias (Solingen), vorgetragen bei der Verlegung des Stolpersteine für ihren Verwandten Hermann Gärtner, Burgstraße 6

Vor sechs Jahren besuchte Robert Tobias das erste Mal mit seiner Familie den Geburtsort seiner Großmutter Irma Gärtner in Ruppichteroth. Während dieser Reise ließ er auf dem Jüdischen Friedhof in Köln-Bocklemünd einen Grabstein für seinen Urgroßvater Hermann Tobias aufstellen. Der Metzger aus Hamm an der Sieg war 1940 im Israelitischen Asyl in Köln verstorben. Drei seiner Kinder waren bereits in die USA ausgewandert, der jüngste Sohn hing mit Frau und fünf Kindern in Haaren bei Paderborn fest. Es war niemand mehr da, der sich um sein Grab hätte kümmern können. So ersetzte Rob 73 Jahre später den kleinen Betonstein mit einer Nummer, der dort lag, gegen einen richtigen Grabstein mit Namen.

2016 kam Robert erneut nach Deutschland, diesmal zusammen mit seinem Vater Walter, seinen Geschwistern Karen und Steve, mit Cousinen, Neffen und weiteren Verwandten. Diesmal äußerte er den Wunsch, dass für seinen anderen Urgroßvater Hermann Gärtner in Ruppichteroth ein Stolperstein verlegt werden möge. Denn für Hermann Gärtner gibt es kein Grab. Er flüchtete im Mai 1938 in die Niederlande, aber alle Versuche ein Visum für die USA oder wenigstens für Kuba zu bekommen scheiterten. So wurde der Metzger schließlich über das Lager Westerbork nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. 1000km weit weg von seiner Heimat Ruppichteroth.

Wir sind froh, dass der Wunsch nach einem Stolperstein in Ruppichteroth auf fruchtbaren Boden fiel und insbesondere die Schülerinnen und Schüler der Sekundarschule das Andenken an die verfolgten jüdischen Nachbarn zu ihrem Anliegen machten. Rob kann leider aus gesundheitlichen Gründen nicht an der Verlegung teilnehmen, richtet aber allen Beteiligten seinen herzlichen Dank aus.

Was mich in diesen Tagen an der Geschichte von Hermann Gärtner besonders beschäftigt ist die Schutzlosigkeit, die er schon kurz nach der Machtergreifung Hitlers erleben musste. Am 9. März 1933 schickte ein anonymer Schreiber ihm eine Morddrohung: "All Juda, Befehl! Ich habe dich größten aller Schurken vorige Woche noch mal gesehen wo ich dich schon im Morgenlande glaubte. Solltest du aber bis zum 28. ds Mts dich nicht 50km von Rup. entfernt haben, dann werde ich mein Versprechen einlösen und dich in ein besseres Jenseits befördern. Die Kugel ist mir nicht mehr zu schade wie diese Freimarke." Der Brief wurde am 16. März in Waldbröl gestempelt. Hermann Gärtner wandte sich damit an Bürgermeister Hubert Manner. Der leitete das Schreiben am 30. März an Landjäger Latter weiter, der den Brief am 1. April zur Kenntnis nahm.

Statt zu ermitteln, wer Hermann Gärtner nach dem Leben trachtete und ihn zu schützen, wurde er am 1. April 1933 Opfer des landesweiten Judenboykotts. Auch vor seinem Geschäft standen SA-Männer und hinderten Kunden daran, bei ihm Fleisch zu kaufen. Hermann Gärtner ertrug diese Demütigung kaum, betrank sich aus Verzweiflung in den umliegenden Gaststätten und erzählte später einem Nachbarn, er habe gehört, dass in Marburg 300 von Nazis misshandelte Juden im Krankenhaus lägen. Drei Tage später saß Hermann Gärtner in "Schutzhaft", weil er "Gräuelmärchen" über die Partei verbreitet habe und ihn womöglich "der gerechte Zorn" der Parteigenossen treffen könne. Am 7. Juni 1933 wurde er vor dem Sondergericht Köln zu zehn Monaten Haft wegen Vergehens gegen § 3 der Verordnung zur Abwehr heimtückischer Angriffe gegen die Regierung der nationalen Erhebung vom 21.3.1933 verurteilt. Alle Gnadengesuche wurden abgeschmettert, er musste die komplette Haftzeit absitzen.

Für die Familie war dies eine traumatische Erfahrung, alle Sicherheiten zu verlieren. Das Geschäft brach ein, der 16-jährige Sohn Paul und der 90-jährige Vater Simon waren ohne Versorger, die schwangere Tochter Irma dachte gar an Selbstmord. Für Hermann Gärtners Kinder war danach jedenfalls klar, dass es für sie keine Zukunft in Deutschland geben konnte. Sie verließen ihre Heimat. Für ihren Vater gab es jedoch keinen Schutz mehr, nachdem die Nazis im Mai 1940 auch in den Niederlanden einmarschiert waren. Im September 1942 wurde Hermann Gärtner von dort in den Tod deportiert.