NIE WIEDER - diese beiden Worte fallen immer wieder seit dem Ende des 2. Weltkriegs bei den diversen jährlichen Gedenkveranstaltungen. Sie gehen zurück auf den sogenannten Buchenwald-Schwur: Am 19. April 1945, also nur wenige Tage nach der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald durch die amerikanischen Truppen, versammelten sich auf dem ehemaligen Appellplatz des Lagers Überlebende. Sie hielten die erste Trauerfeier für die Toten des Lagers ab und weihten ein provisorisches Denkmal für sie ein. Ihr Gelöbnis, gemeinsam die Grundlagen der NS-Verbrechen zu bekämpfen, legten sie in zahlreichen Sprachen ab. Laut des ehemaligen Buchenwald-Häftlings Heinz Brandt haben die Teilnehmenden auf dieser Gedenkversammlung lautstark „Nie wieder“ skandiert. (Quelle: Vorwaerts.de).
Als erstes denkt man bei diesen beiden Wörtern sicherlich meist an die Ermordung von mehr als 6 Millionen Juden und weitere Gräueltaten des 2. Weltkriegs.
Aber selbst in unserem kleinen Ort, unserer kleinen Gemeinde, sind zwischen 1933 und 1945 Dinge passiert, von denen wir heute sagen: Nie wieder, oft aufgrund aktueller Nachrichten inzwischen auch: Nie wieder ist jetzt.
bilderbuch-ruppichteroth.de hat zahlreiche dieser Ereignisse recherchiert und dargestellt. Neben den vielen Kriegsopfern aus der Ruppichterother Bevölkerung (s. Gedenktafeln am Ehrenmal) seien hier die Vertreibung von damals 47 jüdischen Mitbürgern erwähnt, von denen 23 im KZ umgekommen sind und 17 sich nur durch Flucht in die USA und nach Israel retten konnten. Die anderen sind eines natürlichen Todes gestorben.
Auf dieser Seite möchten wir nun einige Beispiele aufzeigen, bei welchen „Nie wieder - Ereignisse" auch für Ruppichteroth und für Schönenberg dokumentiert sind. Die wenigen Beispiele zeigen, mit welchen MItteln man damals sowohl gegen die jüdischen Mitbürger, aber auch gegen andere vorging.
Quelle der folgenden Zitate sind - wenn nicht anders angegeben - die sog. „Stimmungsberichte", die der damalige Ruppichterother Bürgermeister Hubert Manner lt. Verfügung vom 28.7.1933, III.L.666 monatlich an den Landrat des Siegkreises schicken musste. Hierbei berichtete er über die wirtschaftliche Situation in der Gemeinde, die Stimmung in der Bevölkerung sowie in jeweils in einem besonderen Abschnitt über die Lage und die Stimmung der jüdischen Bevölkerung.
Judenboykott 1933 – u.a. gegen das Geschäft des Metzgers Hermann Gärtner (späteres Geschäft der Fam. Kaltenbach) mit anschließender „Schutzhaft“*
Am 1. April 1933 fand im ganzen Deutschen Reich ein Judenboykott statt, der mit deutscher Gründlichkeit und viel Organisationstalent durchgeführt wurde. Punkt 10 Uhr bezogen im gesamten Siegkreis auf das Zeichen von Brandsirenen hin SA-Männer Posten vor jüdischen Geschäften, um die Kunden am Kaufen zu hindern. Erstes Opfer dieses Boykotts war der Ruppichterother Metzger Hermann Gärtner. Er war Jude und ihm wurde vorgeworfen, er habe den Boykott durchbrochen, indem er Kunden in seine Wohnung eingeladen habe. Außerdem habe er Gräuelmärchen verbreitet, indem er behauptet habe, in einer Universitätsklinik lägen 300 von den Nazis geschändete jüdische Mädchen. Für seine Sicherheit konnte angeblich keine Garantie mehr übernommen werden, weil NSDAP, SA und SA-Reserve so erregt darüber seien. Also Schutzhaft von mehreren Wochen und später Verurteilung zu 10 Monaten Gefängnis.
Anm.: Als „Schutzhaft" bezeichnete man in der Zeit des Nationalsozialismus ein Instrument der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung und polizeilichen planmäßigen Überwachung. Die persönliche Freiheit konnte von der Polizei entzogen werden, ohne dass dies einer gesetzlichen Grundlage bedurfte. Gegen die polizeiliche Haftanordnung waren keine Einwendungen möglich, etwa im Wege der Haftprüfung. Die in „Schutzhaft" gnommenen Personen waren vollkomen rechtlos gestellt (Quelle: wikipedie.ade)
Ruppichterother Schutzhäftlinge: Heinrich Siebertz, Harth und Gustav Seuthe, Ruppichteroth
Der zweite Schutzhäftling — wenn auch aus ganz anderen Gründen — war Heinrich Siebertz von der Harth. Ihm wurde von Seiten der NSDAP vorgeworfen, er habe sich anläßlich eines Richtfestes beim Hissen der Hakenkreuzflagge und beim Abspielen des Horst-Wessel-Liedes „provozierend“ benommen. Hierfür saß er mehrere Wochen in Siegburg ein. Entgegen allen Gepflogenheiten zivilisierter Staaten maßten sich die Partei und ihre Gliederungen Polizeifunktionen an, verhafteten — wie im Falle Siebertz — zahllose ihnen unbequeme Menschen und hielten sie wochenlang fest, ehe sie sie — wenn überhaupt — den damals noch funktionierenden Gerichten zuführten, die dann meist freisprachen. …
„Schutzhaft“ für Gustav Seuthe (31.7. – 5.8.1933), Ruppichteroth – Ausschluss der jüdischen Mitbürger aus der Feuerwehr
Daß sich viele Nationalsozialisten und Sympathisanten der NSDAP, die in treuem Glauben Hitler gewählt hatten, Gedanken über das Verhalten der Partei und ihrer Gliederungen machten, das begangene Unrecht spürten und sehr wohl fühlten, daß dem deutschen Volke noch viel größeres Unrecht bevorstand, wird am Beispiel des Ruppichterother Landwirts Gustav Seuthe deutlich. Als man die Ruppichterother Juden wegen „Unwürdigkeit“ aus der Feuerwehr ausschloß, äußerte er einem Bekannten gegenüber:
„Wenn ich alles gewußt hätte, wie es jetzt gekommen ist, hätten die ihr Scheiß-Braunhemd behalten können.“ Über diese Äußerung gab der „gute“ Bekannte sofort eine eidesstattliche Versicherung vor Bürgermeister Manner ab. Die SA war schon vorher darüber informiert worden und am 31. Juli 1933 wurde prompt Schutzhaft verfügt. Die Begründung war die übliche: „Durch diese beleidigende Äußerung des Seuthe befindet sich die SA in solcher Erregung, daß die¬selbe gegen Seuthe tätlich vorgehen will. Alle Beruhigungsversuche auf die SA sind erfolglos geblieben, so daß für Leib und Leben des Seuthe Gefahr besteht. Seitens der SA wurde mir (Bürgermeister Manner) bei meinen Beruhigungsversuchen erklärt, daß sie heute Abend den Seuthe aus seiner Wohnung holen würden, um ihm den nötigen nationalsozialistischen Geist beizubringen.“
Am 1. Mai 1933 traten alle Kommunalbeamten der Gemeinde Ruppichteroth, die auch weiterhin im Dienst bleiben wollten, in die NSDAP ein — an der Spitze Bürgermeister Manner, der vor wenigen Jahren noch die NSDAP bekämpft hatte.
(Quelle: Karl Schröder in Ruppichteroth im Spiegel der Zeit, Band 2S. 228 – 229)
Dezember 1933
Die Juden halten sich ruhig und scheinen — äußerlich zu urteilen —• sich sehr gedrückt zu fühlen.
April 1934
Die jüdische Bevölkerung hat zu Klagen keinen Anlaß gegeben.
Juli 1934
Die Juden sind kleinlaut geworden, da sich die wirtschaftliche Krise bei ihnen besonders auswirkt und fühlbar macht.
August 1934
Am Samstag, dem 18. August vormittags, wurde mir gemeldet, daß seitens der Insassen des Erholungsheimes der gemeinsamen Betriebskrankenkassen der Stadt Köln (Anm.: hier war in diesen Jahren der Sitz der örtlichen NSDAP) in Ruppichteroth an der im Eigentum der Gemeinde stehenden Badeanstalt in Ruppichteroth ein Schild angebracht worden sei mit der Aufschrift: „Wir wünschen ohne Juden zu sein.“ Ich habe das Schild sofort durch den Gendarmeriewachtmeister Laddach entfernen lassen und polizeilich sichergestellt. Diese Handlungsweise hat in manchen Kreisen Mißfallen hervorgerufen und dürfte für die Volksabstimmung eine schlechte Propaganda gewesen sein.
Dezember 1934
Bezüglich der Juden ist zu sagen, daß aus den Städten jugendliche Juden versuchen, Lager aufzuschlagen, um mit ihrer Sippe in entlegenen Gegenden zu hausen. Dies wird unterbunden. Die ansässigen Juden verhalten sich ruhig.
März 1935
Die Juden verhalten sich ruhig und erwecken den Anschein, als ob sie stark gedrückt seien. Finanziell geht es dieser Kategorie von Menschen nicht mehr gut, da der Handels- und Geschäftsverkehr bei ihnen stark abgeflaut ist.
Am Dienstag, dem 5. März 1935 (Fastnacht) ereignete sich während des Fastnachtstreibens im Hotel Linke in Felderhoferbrücke eine kleine Schlägerei zwischen dem Arzt Dr. J. aus Köln und drei Herren von der Provinzialstraßenbauverwaltung in Düsseldorf. Grund: Im Verlaufe des Abends wurde im Saal unter den Gästen das Gerücht ruchbar, daß im Saal auch ein Judenjunge anwesend sei. Dieses erfuhren auch die drei genannten Herren. Jetzt begann von diesen Herren die Suche nach dem Judenjungen. Wie später festgestellt wurde, soll auch tatsächlich der Jude Herbert Gärtner aus Ruppichteroth anwesend gewesen sein. Die Herren aus Düsseldorf kannten den Juden Gärtner nicht und haben irrtümlicherweise den Arzt Dr. J. aus Köln als den gesuchten Juden angesehen.
Mai 1935
Ostern besuchten ca. 25 Juden aus Köln die in Ruppichteroth wohnhaften Juden. Dies wurde von der NSDAP als Provokation auf gefaßt, weil am Eingang der Ortschaft Ruppichteroth ein Transparent mit der Aufschrift „Juden sind hier unerwünscht“ angebracht ist. Die Sache hat jedoch keinerlei Ausschreitungen im Gefolge gehabt. Im Großen und Ganzen gesehen, zeigen die Juden gedrücktes Wesen und üben Zurückhaltung.
Juni 1935
Die Polizeiorgane haben schärfste Anweisung, die Juden dauernd zu beobachten. Das im Eigentum der Juden stehende Bröltalheim soll in eine jüdische Jugendherberge umgewandelt werden. Dies muß unter allen Umständen verhindert werden.
September 1935
Die Juden scheinen äußerlich eine große Zurückhaltung zu üben, zumal dieselben gemerkt haben, daß sie mit aller Schärfe überwacht werden.
August 1935
Die Badeanstalt in Ruppichteroth ist den Juden zur Benutzung nicht mehr freigegeben. Die Gemeindeältesten von Ruppichteroth haben eine Entschließung gegen die Juden angenommen, da die Juden versuchten, sich weiter breitzumachen.
September 1935
Die Juden scheinen äußerlich eine große Zurückhaltung zu üben, zumal dieselben gemerkt haben, daß sie mit aller Schärfe überwacht werden.
Oktober 1935 - „Aus diesem Ort der Jud muß fort"
Während des Nürnberger Parteitages wurden in der Ortschaft Ruppichteroth in der Nacht vom 14. zum 15. September 1935 an der jüdischen Synagoge und an verschiedenen Judenhäusern Fensterscheiben eingeworfen sowie die Straßen und Häuserfronten in roter Farbe mit dem Spruch „Aus diesem Ort der Jud muß fort“ beschmiert. Diese Tat hat in der Bevölkerung starke Empörung hervorgerufen. Strafverfahren wurde eingeleitet und Bericht dort vorgelegt. Daß die Polizeibehörde hier ihre Pflicht getan hat, wird von gewisser Seite in der Ortsgruppe dem Ortspolizeiverwalter und dem stellvertretenden Ortsgruppenleiter stark verübelt und hat gegen beide eine üble Hetze eingesetzt.
November 1935
Die Juden verhalten sich ruhig, und die Auswirkungen der Judengesetze scheinen manchen Juden zur Auswanderung zu bringen, so daß man wohl — ob kurz oder lang — mit einer Auswanderung dieses Personen¬kreises rechnen kann ... Die Juden betätigen sich noch ziemlich viel im Viehhandelsgewerbe, indem dieselben bei den Bauern Vieh aufkaufen und umsetzen. Ihr Geschäftsbetrieb ist jedoch stark zurückgegangen und glaube ich, wenn die Marktregelung im Viehhandelsgewerbe durchgeführt ist, daß das jüdische Element restlos ausgeschaltet wird. Man kann eine allgemeine Verarmung der Juden feststellen, so daß man heute schon in einzelnen Fällen mit einer Wohlfahrtsbetreuung in Kürze rechnen kann.
Zu den Ereignissen in Schönenberg: „Bröltalheim soll (nicht) jüdische Jugendherberge werden"