Unter dieser Überschrift sollen weitere Erinnerungen von Zeitzeugen oder Zweitzeugen („mein Vater/meine Mutter, mein Opa/meine Oma haben mir erzählt...") dokumentiert werden. Die Geschichten können kurz oder länger sein, ganz wie Sie wünschen.
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In einem Gespräch mit bilderbuch-ruppichteroth.de erzählt Anni Weiand, die nach dem Krieg – durch die Heirat mit Bruno Weiand – nach Ruppichteroth zog und dort bis heute das wahrscheinlich älteste Haus des Ortes bewohnt, im Mai 2021 von ihren Erlebnissen und Erinnerungen an die Kriegsjahre an ihrem Geburtsort Oberhausen und dann bei der Oma in Rossenbach.
„Aufgewachsen bin ich mit meinen Eltern, 4 Schwestern und einem Bruder in Oberhausen, wo ich am 23.05.1931 geboren wurde.
Mein Vater arbeitet im Innendienst bei der Post. Dadurch hatten wir eine Dienstwohnung im Hauptpostamt.
Noch im Jahr 1939 konnten wir mit der Familie Urlaub auf Usedom machen und auf der Rückfahrt Berlin besuchen.
Im September 1939 musste mein Vater Soldat werden. Aus seinem Einsatz in Russland kehrte er nicht wieder zurück. Er starb 1947 in Atrachan am Kaspischen Meer an Unterernährung, nachdem er nach Kriegsende in den dortigen Salzbergwerken als Kriegsgefangener arbeiten musste.
Schon bald erlebten wir die Gefahren des Krieges hautnah in unserem Heimatort Oberhausen im Ruhrgebiet, wo aufgrund der zahlreichen Industrien die Bombenangriffe zunahmen.“
Mit der Kinderlandverschickung an die ungarische Grenze
„1943 sahen die Behörden die Gefahr insbesondere für uns Kinder als so groß an, dass wir mit der Bahn, mit Lehrern und Geschwistern im Rahmen der Kinderlandverschickung nach Wehlerad an der ungarischen Grenze geschickt wurden. In Wehlerad – einem Ort an der ungarischen Grenze – kamen wir in einem von Nonnen geführten Kloster unter. Hier wurden wir hervorragend von den Nonnen bewirtet. Diese haben aber kein Wort mit uns geredet. Wir Hatten es gut in diesem Kloster, wo wir sogar Unterricht hatten bei unseren Lehrern.“
„Die Angriffe auf das Ruhrgebiet und auf Oberhausen nahmen in dieser Zeit zu, weshalb meine Mutter zur Oma nach Rossenbach zog. Dadurch konnten wir einen Antrag auf Rückkehr zur Mutter stellen, der auch genehmigt wurde, weil Rossenbach als nicht bombengefährdetes Gebiet angesehen wurde.
Die Rückreise mit der Bahn von Wehlerad nach Rossenbach von mir und meinen Schwestern dauerte insgesamt 8 Tage. Immer wieder mussten wir umsteigen und die Weiterfahrt neu organisieren. Von Köln aus nahmen wir schließlich die Bahn über Overath nach Waldbröl, wo wir um Mitternacht ankamen. Wir wurden von Schwester Marta Pott empfangen und von ihr nach Rossenbach begleitet.“
„In Rossenbach gingen wir dann (ab Ende 1943) in die dortige einklassige Schule zu Lehrer Wagner.
Die Schule fiel jedoch oft aus wegen der Tiefflieger, die Rossenbach oft angriffen, weil hier Nachschub für die deutschen Soldaten gelagert wurde.
In Rossenbach haben wir uns dann in den Jahren 1944 – 1945 mehr recht als schlecht durchgeschlagen. Wir hatten jedoch immer genug zu essen.
Im Radio hörten wir die Kriegspropaganda mit den Durchhalteparolen. Anfang 1945 jedoch hörten wir zunehmend davon, dass die Amerikaner näher kommen würden. Waren sie eine Gefahr? Waren Sie unsere Retter? Stimmte das überhaupt?
Zunehmend hörten wir in der Ferne Schüsse. Die Front kam wohl immer näher. Eine Nachbarin (Frau Lütz) rief, dass wir zu ihr kommen sollten, da wir zum Schutz einen Keller aufsuchen müssten. Wir haben bei ihr 2 – 3 Tage übernachtet. Am Montag, d. 8. April haben wir den Keller verlassen. Überall hörten wir: „Die Amis kommen. Kommt raus. Es ist vorbei“. Dann sahen wir die amerikanischen Soldaten, die über die Nutscheid ins Tal herunter kämmen. Bei ihnen war ein allen bekannter Rossenbacher: Gustav Heidenpeter. Er hielt eine weiße Fahne an einem Stock hoch. Was war geschehen?
Er galt in der Bevölkerung als „Erzkommunist“ und hatte sich aus Angst vor den Nazis in einer Tannenschonung in der Nutscheid versteckt, wo er sich den Amerikanern ergab. Seine Frau hatte ihm in dieser Zeit heimlich das Essen gebracht. Die Amerikaner nahmen ihn fest und er verbrachte 1 Jahr in amerikanischer Kriegsgefangenschaft.
Als die Amerikaner dann zu jeweils 3 Personen jedes Haus nach eventuell sich hier noch aufhaltenden deutschen Soldaten durchsuchten, hatten wir anfangs große Angst. Wir wussten ja nicht, was sie vorhatten und was sie mit uns machen würden.
Sehr schnell aber fanden wir heraus, dass von den amerikanischen Soldaten keine Gefahr für uns ausging. Sie versorgten uns mit Süßigkeiten und Schokolade und zum ersten Mal in unserem Leben mit Kaugummi. Zusatzinfo aus Rossenbach 1999
Die Brölstraße war voller amerikanischer Militärfahrzeuge und Panzer: ganz neue, wahnsinnig große. Was uns aber irritierte: viel der Fahrer hatten schwarze Gesichter. Solche Menschen – man nannte sie damals noch Neger - hatten wir noch nie gesehen, aber auch sie waren freundlich zu uns.
Und dann gab es in den nächsten Tagen immer wieder Fußgänger auf der Brölstraße, was wir so vorher nicht kannten: es waren von den Amerikanern befreite Kriegsgefangene aus Polen und aus Russland, die meist bei deutschen Landwirten gearbeitet hatten. Sie waren nicht immer gut behandelt worden, so dass man uns vor ihnen und möglicher Gewalttätigkeit warnte. Eines Tages kam ein Russe zu uns auf den Hof. Wir hatten Angst, als er in unser Haus kam, doch er bettelte nur um „Essen, Essen, Brot“. Natürlich erhielt er bei uns ein Essen, wofür er sich – nachdem er ansonsten nicht mit uns gesprochen hatte – bedankte. Wir haben aufgeatmet…
Nach Ende Krieges ging uns in den Sommermonaten des Jahres 1945 immer besser. Es war die Zeit der Tauschaktionen: wir hatten die landwirtschaftlichen Produkte und die Leute aus der Stadt boten uns das an, was wir in Rossenbach nicht kaufen konnten. Wir waren richtig fröhlich, ja sogar euphorisch. Aus 2 Kleidern machte man ein neues, aus einem Mantel wurde eine Jacke.“
„Da Rossenbach ja an das damals von Reichorganisationsleiter Robert Ley betriebene Gut Rottland angrenzte, bekamen wir viel von dem oft hektischen Treiben dort mit.
Es war allgemein bekannt, dass Robert Ley in den 40er Jahren dort große und aufwändige Feste feierte (u.a. Maifest, Erntefest u. ä.). Hierzu lud er die sich auf Heimaturlaub befindlichen Soldaten und deren Angehörige ein und bot ihnen ein buntes Programm mit Musik, Filmvorführungen und Tänzen.
Zu einem dieser Feste (es muss 1943 oder 1944 gewesen sein) waren auch meine Mutter, ich und meine Geschwister eingeladen. Das Haus war damals mit grünen Netzen behängt, damit die alliierten Flugzeuge es nicht so leicht erkennen konnten.
Wir gingen zu Fuß den Berg hoch nach Rottland und sahen, wie Robert Ley auf der ebenen Wiese oberhalb von Rottland mit einer Propellerflugzeug („Fieseler Storch“) landete. Auf dem Hof tanzen junge Mädchen (im Elfengewand) einen Reigen, überall war Robert Ley im Mittelpunkt. Es war für uns Kinder ganz toll, einmal bei einer solchen Veranstaltung dabei sein zu dürfen. Doch schon nach kurzer Zeit sagte meine Mutter: „Das halte ich nicht länger aus hier. Unsere Männer sind im Krieg und hier wird fröhlich gefeiert“. Und wir mussten dann mit unserer Mutter umgehend zurück nach Rossenbach gehen.“
Zum Ende des Gespräches überreichte Anni Weiand an bilderbuch-ruppichteroth.de die Jubiläumsschrift „1449 – 1999 550 Jahre Rossenbach, Beiträge zur Ortsgeschichte“.
Wir zitieren im Folgenden hieraus einige Informationen Ausführungen zum Schulbesuch in Rossenbach von 1939 – 1946, weil die dort beschriebene Situation in den Schulen in und um Ruppichteroth ja ähnlich war:
„Am 18. April wurde die konfessionelle ev. Schule aufgehoben. Die Schule erhielt den Namen „deutsche Schule“. Die 17 kath. Kinder aus Rossenbach und Beuinghausen werden in die hiesige Schule einverleibt, so daß die Schulklasse von nun an 57 Schüler hat. Die Schüler von Hoff und Ruh wurden aus dem bisherigen Schulbezirk herausgelöst und dem Schulbezirk Waldbröl überwiesen. Diese Maßnahme löste bei der Elternschaft in Ruh und Hoff größten Unwillen aus. …
Im Februar 1945 wurde der Schulunterricht geschlossen. Und im März des Jahres wurde der Schulsaal mit Flüchtlingen belegt. Am 22. März 1945 wurden große Teile der Schule durch alliierte Bombenangriffe zerstört. Die Bewohner verbrachten die kommenden Tage und Nächte unter Angst und Aufregung.“
Nach Kriegsende:
„Im Mai 1945 wurde mit der Wiederherstellung des Schulhauses begonnen. 9 Monate dauerten die allernotwendigsten Arbeiten, um die Bombenschäden am Schulhaus einigermaßen zu beseitigen. Am 18. August 1945 wurde der Schulunterricht wieder aufgenommen. Die Schülerzahl betrug anfangs 74.
Infolge Sitzmangels wurden 2 Klassen eingerichtet. Die Oberstufe (5-8) erhielt von 8-11, die Grundschule (1-4) von 11:45 – 13:45 Unterricht. Da sämtliche Schulbücher verboten waren, fehlte es an dem Allernotwendigsten. Von den Unterrichtsfächern durften nur Religion, Rechnen, Deutsch, Naturkunde, Heimatkunde, Gesang erteilt werden. Geschichte und Erdkunde blieben verboten.
Im November bekamen alle Schüler lt. Genehmigung der Militärregierung ¼ l Vollmilch. Leider wurde den Schülern die Frühstücksmilch wieder genommen. Als Ersatz wurden den Schülern täglich Vitamintabletten C gereicht, aber auch diese Einrichtung wurde bald wieder abgeblasen.“
Ruppichteroth, im Mai 2021