Bilderbuch Ruppichteroth

Als Flüchtlinge in Ruppichteroth

Ankunft 1957

Anka Sattay, geb. Honig/geb. 1947, lebte mit ihrer Familie bis 1957 in der Nähe von Güstrow. Die Familie flüchtete 1957, weil die Eltern nicht mehr unter dem diktatorischen Regime der DDR leben wollten. Auch wenn die Familie Honig (Anka, ihre Eltern, Bruder und Schwester) damit keine direkten Kriegsflüchtlinge waren, war ihr Leben in der DDR doch mehr als das Leben in der Bundesrepublik durch die Folgen des Krieges geprägt. Ihre Beschreibung des Lebens in der „neuen Heimat Ruppichteroth" ist so eindrucksvoll, dass wir sie an dieser Stelle in Auszügen wiedergeben möchten.

Die ausführliche Geschichte  „Thema Flüchtlinge - ist das so neu?" hat Anka im Frühjahr 2018 für bilderbuch-ruppichteroth.de geschrieben. Sie ist im Bilderbuch Ruppichteroth, Band 2 auf den Seiten 220 - 223, nachzulesen.    

Wenige Monate nach Abschluß der Geschichte erkrankte Anka so sehr, dass sie im Juli 2019 verstarb.

Wieso nach Ruppichteroth?

Auch dies ist wieder eine Folge des Krieges.
„Mein Vater erinnerte sich an Ruppichteroth. Hier war er mit seiner Kompanie im Krieg untergekommen. Herr Martin Steglich von Maro Möbel war sein Kompaniechef gewesen. Auch einige seiner alten Kameraden waren in Ruppichteroth hängengeblieben. Mein Vater nahm irgendwie Kontakt auf und wir wurden eingeladen, das war im Frühjahr 1957. Wir haben bei Fam. Vogelheim in Kammerich gewohnt, wo mein Vater im Krieg „Quartier“ genommen hatte. Obwohl ich schreckliche Angst vor dem „Kriegstreiber Adenauer“ hatte, es wurden entsprechende Flyer bei uns in der Stadt verteilt, war es eine sehr schöne Zeit. Zum 1. Mal habe ich echte Schokolade gegessen. Dann reifte wohl der Plan, aus der DDR „abzuhauen“.

Herr Steglich und die anderen haben meinem Vater erzählt, welche Vorteile er im Westen hätte. Er war schwerkriegsbeschädigt (steifes  verkürztes Bein, Munition verkapselt war noch drin) und er hatte 3 Kinder. Er war er beruflich doch sehr eingeschränkt und Unterstützung vom Staat gab es wohl kaum. Außerdem musste man an jeder Ecke mit Spitzeln rechnen, auch eben unter Freunden. Im Sommer ist er dann zunächst alleine nach Ruppichteroth gekommen. Ich wusste natürlich nichts davon, ich hätte evtl. etwas verraten können.

Mit Hilfe der ehemaligen Kameraden hat er Arbeit und eine Wohnung gefunden und die notwendigen Möbel wurden auch besorgt.

Güstrow > Berlin > Köln/Bonn > Obersaurenbach

... In Obersaurenbach angekommen, waren wir viel zu müde, noch lange zu gucken. Wir sind direkt ins Bett gegangen. Mein Bruder und ich hatten ein Zimmer zusammen in der 1 Etage, meine kleine Schwester schlief bei den Eltern. Morgens waren wir früh wach. Der erste Blick aus dem Fenster war schon sehr verwunderlich für uns. Wo waren wir gelandet? Wir sahen nur Apfelbäume! Dann kam auch schon meine Mutter und nahm uns mit runter. Wir kamen in die Küche mit einem riesigen Herd, Tisch und Stühlen, Küchenschrank und eine Liege. Eine Wohnküche also. Wohnzimmer gab es nicht. Nebenan das Elternschlafzimmer. Es war alles recht klein verglichen mit unserem alten Zuhause. Nach dem Frühstück sind wir erst mal rausgegangen. Da waren die Obstbäume und ein etwas verwilderter Garten. Wir lebten jetzt in einem Dorf. Später kam dann eine Nachbarin und brachte uns frische Milch, Eier und frisches Gemüse. Meine Mutter hat sich sehr gefreut.

Im Dorf wusste man schon, dass Flüchtlinge aus der DDR eingezogen waren. Sie wunderten sich nur, dass wir so gut deutsch sprachen. Mein Vater hat dann erklärt, dass DDR auch Deutschland war. Wir kamen aus Mecklenburg.                 

Wir waren so froh, dass wir so freundlich aufgenommen wurden. Auch die anderen Nachbarn im Dorf waren sehr nett und brachten öfter was zu essen. Wir waren sehr dankbar, wir hatten ja noch sehr wenig Geld. ...

Schulzeit in Ruppichteroth

Irgendwann mussten mein Bruder und ich zur Schule. Mein Bruder ging in die evangelische Volksschule,  1. u. 2. Schuljahr  in einer Klasse. Meine Grundschule war oben im Ort. Hier waren 3., 4. und 5. Schuljahr in einem Raum. Das fand ich schon sehr merkwürdig. Die Kinder bestaunten mich wie eine Exotin. „DDR – Flüchtling“. Ich staunte aber auch nicht schlecht. Die Sprache war zwar deutsch, aber der Dialekt ! „Dat und wat, et doo, wo is dat Marie usw.“ Ich hab nur die Hälfte verstanden. Wir sprachen reines Hochdeutsch. (Heute auch nicht mehr, das Kölsch hat mittlerweile doch abgefärbt). Was aber toll war, zum Frühstück gab‘s in der Schule Kakao. Das kannte ich nicht. Auf meinen Zeugnissen aus der DDR waren nur sehr gute Noten. Also eine „Musterschülerin“.  So war klar, dass ich zum neuen Schuljahr am Hollenberg-Gymnasium in Waldbröl eingeschult wurde. Die Aufnahmeprüfung hab ich dann bestanden. Es gab sogar eine finanzielle Unterstützung, ein  „Stipendium“.

Obwohl alles so gut anlief, habe ich mich jeden Abend in den Schlaf geweint. Mir fehlte meine Oma, mein Onkel, der wie ein großer Bruder für mich war und natürlich meine Freunde.

Bei uns ändert sich alles.

Umzug ins Eigenheim in der Oberen Hirschbitze

In Ruppichteroth wurden durch eine soziale Wohnungsbaugesellschaft neue Häuser gebaut. Obere Hirschbitze. Mit staatlicher Hilfe wegen seiner Kriegsverletzung und mittlerweile vier Kindern, war es meinem Vater möglich zu bauen. Auch wurden wir mittlerweile als DDR-Flüchtlinge anerkannt. Als sich das in der Nachbarschaft rumgesprochen hatte, war die Freundlichkeit doch etwas abgekühlt. Es gab finanzielle Unterstützung vom Versorgungsamt in Köln. Das heißt Geldzuwendungen für Bekleidung und für Winterbrand.

Was ich nie vergessen habe:  wir hatten noch kein Geld bekommen um Kleidung zu kaufen. Es war schon November. Es war bitterkalt und wir hatten nichts Warmes anzuziehen. Wir haben alle sehr gefroren. Ich musste ja auch jeden Morgen schon um 7 Uhr von Obersaurenbach nach Ruppichteroth zum  Bus nach Waldbröl gehen. Es war schon  schlimm. Endlich gab es Geld! Wir sind  nach Köln gefahren und haben für alle warme Kleidung gekauft. Warme Mäntel, warme Hosen und warme Schuhe. Jetz brauchten wir nicht mehr zu frieren und keiner musste uns mehr schief ansehen.

Wir waren nicht sehr religiös, aber Weihnachten sind wir dann alle zur Kirche gegangen. Durch die Kälte in warmer Kleidung. Wir waren so dankbar für alles, da mussten wir uns bei Gott bedanken.

Nach 60 Jahren: „Ich bin immer noch gerne hier“

Ich lebe jetzt schon über 60 Jahre in Ruppichteroth und bin immer noch gerne hier. Das habe ich jetzt alles so gut es ging aus meiner Erinnerung geschrieben. Es gibt sicher einige Gedächtnislücken, aber einen kleinen Einblick in die damalige Zeit konnte ich hoffentlich übermitteln.

Ruppichteroth, im März 2018                Anka Sattay