Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, sehr geehrte Gäste,
ich begrüße Sie alle als Ex-Bürgermeister der Gemeinde Ruppichteroth und im Namen des Bürgervereins Ruppichteroth sehr herzlich hier am Eingang unseres jüdischen Friedhofes und danke Ihnen für Ihr Erscheinen.
Ein besonderer Willkommensgruß gilt dem Geschäftsführer des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden Nordrhein, Herrn Herbert Rubinstein, ebenso wie Herrn Pfarrer Warzynski von der Kath. Kirchengemeinde und Herrn Pfarrer Neuhaus von der Ev. Kirchengemeinde.
„Gedenke Deiner durch Gewaltherrschaft von 1933 bis 1945 ermordeten jüdischen Mitbürger - Bürgerverein und Gemeinde Ruppichteroth.“ So steht es auf der Gedenktafel aus Bronze, die wir heute enthüllen wollen. Auch in hebräischer Schrift ist dieses Gedenken geprägt worden. Auf Anregung aus der Bürgerschaft und in gemeinsamer Initiative von Bürgerverein und Gemeinde ist im Zusammenwirken mit Herrn Rubinstein diese Gedenktafel entstanden und dieser Ort des Gedenkens ausgewählt worden. Ich danke dem Vorstand des Bürgervereins und den beteiligten Bürgern ebenso wie Herrn Rubinstein herzlich für ihre Mitwirkung. Nicht von oben verordnet, sondern von mündigen Bürgern gewünscht, ist diese Mahn- und Gedenkstätte.
Das Gedächtnis eines Volkes ist seine Geschichte. Es sind aber vor allem die kleinen Geschichten über unsere ehemaligen jüdischen Mitbürger, die sich in unserem Gedächtnis festsetzen, die auch unseren Kindern leichter vermittelbar sind, weil sie uns besonders vor dem Hintergrund des immer wieder in Wort und Bild gezeigten Holocaust bewegen, entsetzen, mit Scham oder mit Zorn erfüllen. Es sind Erinnerungen, zeitgeschichtliche Dokumente oder auch Fotos, die auf unsere ehemaligen jüdischen Nachbarn Bezug nehmen:
die Gärtners, die Hess, die Isaaks, die Kahns, die Marx, die Nathans und die Regensburgers. So strahlen uns jüdische und christliche Kinder auf einem Foto an, das Ende des 1. Weltkrieges aufgenommen wurde und auf dem sie auf ihren Schlitten Lebensfreude ausstrahlen, bevor sie die Pfarrgasse hinunterfahren.
Unter ihnen Harry Regensburger, Gerti und Walter Nathan sowie Käte und Herbert Gärtner. Da schauen uns von einem alten Foto Willi Gärtners Kinder Lea, Manfred und Marianne an, und auf einem anderen Bild sitzt das jüdische Mädchen Irma Gärtner unter ihren katholischen und evangelischen Mitschülerinnen, um bei katholischen Nonnen im hiesigen Gertrudisstift kochen zu lernen. Im Poesiealbum einer bereits verstorbenen Ruppichterotherin finden wir unter dem 26. Juli 1920 in Schönschrift und in kindlich-unbeholfener Formulierung die Eintragung des 12-jährigen jüdischen Bäcker- und Konditorsohnes: „Zu Deinem 12-jährigen Namenstage Dir, liebe Maria, gewidmet von Deinem Schulfreund Harry Regensburger.“
Im Laufe der Zeit hatte sich zwischen Juden und Christen ein gutes menschliches Miteinander entwickelt, und vieles deutet daraufhin, daß gegen Ende der Weimarer Republik die Integration der Juden in der kleinen Gemeinde Ruppichteroth geglückt war. Die jungen jüdischen Männer engagierten sich in den Vereinen, vor allem aber in der Freiwilligen Feuerwehr.
Seit Ende des 18. Jahrhunderts sind Juden im Kirchspiel und der späteren Bürgermeisterei Ruppichteroth nachweisbar. Nach dem 1. Weltkrieg war die jüdische Gemeinde so stark geworden, daß sie 1921 in Ruppichteroth eine Synagoge errichtete, obwohl sie de jure immer noch zur Synagogengemeinde Nümbrecht gehörte, wo die Ruppichterother Juden auch ihre Toten beerdigten.
Vorsteher der Ruppichterother Synagogengemeinde wurde Moses Hess, der mit seinen Kollegen, dem evangelischen und katholischen Pfarrer von Ruppichteroth, im erweiterten Vorstand des Ruppichterother Bürgervereins saß. Dies sei an dieser Stelle besonders hervorgehoben, weil der heutige Ruppichterother Bürgerverein diese Gedenkfeier ausrichtet.
Erst zwischen 1928 und 1930 legten die Ruppichterother Juden hier an der Herchener Straße einen eigenen Friedhof an. Im Mai 1930 wurde hier unter großer Beteiligung der Bevölkerung die hochgeschätzte Hebamme Sarah Isaak geb. Kahn zur letzten Ruhe gebettet. Schon ihre Mutter Klara Kahn geb. Seligmann war Distriktshebamme in Ruppichteroth gewesen und beide Frauen, die von Seiten der Regierung mit Verdienstbroschen und Geldgeschenken ausgezeichnet worden wa¬ren, hatten in etwa 100 Jahren mehrere Generationen von Ruppich- terotherinnen und Ruppichterothem ans Licht der Welt gebracht.
In diesem Zusammenhang sei auch des jüdischen Arztes, Dr. Moritz Herzfeld gedacht, der zwischen 1887 und 1928 in Ruppichteroth praktizierte, aber in den 80-er Jahren protestantisch wurde.
In der Zeit des Nationalsozialismus wurde dieses gute jüdisch christliche Miteinander von außen, aber auch von wenigen antijüdischen Scharfmachern innerhalb unserer Gemeinde gestört und schließlich zerstört.
Nach dem Boykott jüdischer Geschäfte am 01.04.1933 mußten auf Anordnung von oben auch die jüdischen Mitglieder aus den Vereinen entfernt werden. Der Bürgermeister hatte für die Durchführung dieser Anordnung zu sorgen, und im Juli 1933 standen auch die Feuerwehrleute Oskar Hess, Walter Nathan, Herbert und Willi Gärtner, die sich dem Wohle ihrer Heimatgemeinde verschrieben hatten, verstört vor dem Versammlungslokal der Feuerwehr, aus dem sie soeben gewiesen worden waren.
Vorläufiger Höhepunkt der Ausschreitungen gegen die Ruppichterother Juden war dann die Brandstiftung an der Synagoge am Morgen des 10.November 1938 durch Oberbergische SS-Leute. Der Brand wurde übrigens von der Ruppichterother Wehr wieder gelöscht, wahrscheinlich auch ihrer alten jüdischen Kameraden zuliebe; aber auch hier geschah wieder eine Geschichte, die mehr aussagt über das der Naziideologie innewohnende Böse, als dies lange Abhandlungen zu tun vermöchten. Die SS-Leute hatten jüdische Bürger zur Synagoge getrieben, unter ihnen auch den Bäcker und Konditor Harry Regensburger. - Sie erinnern sich an den Jungen mit dem Glückwunsch im Poesiealbum. Er kam gerade aus der Backstube und hatte seinen dünnen weißen Arbeitskittel an. Die SS stellte ihm eine Leiter an die Synagoge und befahl ihm, mit Hammer und Meißel den Davidstern abzuhämmern. Als er auf der Leiter stand, riß ein Gaffer einem der Feuerwehrleute den Schlauch aus der Hand und spritzte Harry Regensburger von der Leiter. Welche Gefühle mögen diesenm 30-jährigen Ruppichterother Juden bewegt haben?!
Am 18. Juni 1941 wurde ein Teil der Ruppichterother Juden ins Sammellager Much transportiert, unter ihnen auch der Vorsitzende der Synagogengemeinde und das ehemalige Mitglied im Vorstand des Bürgervereins, der 66-jährige Moses Hess, und seine Frau Henriette. Diese sogenannte Umsiedlung war ihnen angekündigt worden, und am 15. April 1941 richtete der alte Viehhändler Moses Hess eine Anfrage an den Landrat: „Kann ich bei der Umsiedlung nach Much meine Ziege, 6 Hühner und ein Schaf mitnehmen? Ich bin 66 Jahre alt, herzleidend und möchte mich mit den Tieren beschäftigen...“ Dieses erschütternde Dokument eines einsamen, hilflosen und orientierungslos gewordenen Menschen war dem Siegburger Landrat so verdächtig, daß er es an die Gestapo schickte und wir dieses Dokument heute un¬ter den Akten der Gestapoleitstelle Düsseldorf finden.
Wie vereinsamt müssen sich die alten Leute, die immer guten Kontakt zu ihren Nachbarn gehabt hatten, in der primitiven und eingeschränk¬ten Umgebung dieses Lagers gefühlt haben. Und was mag in ihnen vorgegangen sein, als man sie 1942 deportierte, im Lager Theresienstadt einpferchte, wo beide den Tod fanden.
Die schweigende Mehrheit, einschl. der Kirchen, taten kaum etwas, um ihren jüdischen Mitbürgern zu helfen. Durch den Terror der SA und Einschüchterungen der Nazifunktionäre wurden sie daran gehindert und mundtod gemacht.
Es gab nur Einzelpersonen, die sich den Naziaktionen entgegenstellten und hierfür gibt es in Ruppichteroth beeindruckende Beispiele.
Vor allem junge Menschen jüdischen Glaubens zogen es vor zu emigrieren; aber ältere Leute und Familien mit kleinen Kindern blieben, wurden nach Osten deportiert und in den dortigen KZ's ermordet. Die Scham über solche Untaten bleibt.
Diese Menschen wurden ihrer Heimat beraubt, um ihr kostbares Leben betrogen, Familien wurden ausgelöscht. Sie sind es uns wert, daß wir sie als Ruppichterother Mitbürgerinnen und Mitbürger in Erinnerung behalten und sie kommen heute als Mahner zu einem friedlichen Miteinander zu Wort, indem ich ihre Namen verlese:
Gustav Gärtner und seine Ehefrau Mathilde geb. Oppenheimer, Hermann Gärtner,
Otto Gärtner mit Ehefrau Sabine und Tochter Thea Gärtner, Wilhelm Gärtner mit Ehefrau Meta und den Kindern Marianne, Lea und Manfred,
Moses Hess mit Ehefrau Henriette,
Max Isaak mit Ehefrau Johanna und Tochter Hilde,
Lydia Marx,
Julius Nathan,
Ilse Nathan mit ihren Kindern Rolf und Josef,
Hannah Nathan,
Amalie Regensburger mit ihrem Sohn Harry.
Diese Gedenktafel wurde zu Ehren der Toten errichtet Sie blickt in die Vergangenheit, dient aber nicht nur der passiven Erinnerung. Sie fordert uns vielmehr auf, wachsam zu sein und Brücken der Verständigung, der Achtung vor der Menschenwürde und des friedlichen Miteinanderlebens zu bauen. Sie ist damit gleichzeitig Wegweiser in eine bessere Zukunft.
Es gibt sie, die Zeichen der Hoffnung hier in Ruppichteroth:
- Einige nachbarschaftliche und freundschaftliche Beziehungen zwischen ehemaligen jüdischen Mitbürgern und Ruppichterother Familien haben den Holocaust überlebt und
bestehen bis heute fort. So besuchte z.B. vor einigen Wochen Wolfgang Hess, Sohn des bereits erwähnten Feuerwehrmannes Oskar Hess, mit seiner Frau Bekannte in Ruppichteroth.
- Der Löschzug Winterscheid der Freiw. Feuerwehr Ruppichteroth pflegt seit Jahren freundschaftliche und partnerschaftliche Beziehungen zu seinen Feuerwehrkameraden in Eilat. Bei jedem Feuerwehrfest in Winterscheid weht als Zeichen freundschaftlicher Verbundenheit neben der bundesdeutschen auch die israelische Flagge.
- Seit Beginn der siebziger Jahre wurden die deutsch-jüdischen Beziehungen, die Verfolgung der Juden und der Holocaust bei uns in Ruppichteroth von Ruppichterother Bürgern literarisch und lokal-historisch aufgearbeitet.
- Seit 1986 findet auf Anregung der Ev. und Kath. Kirche zum Gedenken an die Reichspogromnacht ein Schweigemarsch vorbei an der ehemaligen Synagoge zu diesem Friedhof statt.
Im Gedenken an die ermordeten jüdischen Mitbürger unserer Gemeinde Ruppichteroth wollen wir nun diese Gedenktafel enthüllen.
Text und Foto: bilderbuch-ruppichteroth.de/Archiv Karl Schröder
Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von Ehrenbürgermeister Ludwig Neuber.
Online gestellt am 27.10.2021