Meinen Eltern habe ich viel zu verdanken, wenngleich auch ihre Überlegungen und ihr Handeln nicht immer sogleich nachvollziehbar waren.
Entscheidende und treibende Kraft war die Mutter. Ihr habe ich zu verdanken, dass ich das Gymnasium besuchen und danach studieren und eine akademische Laufbahn einschlagen konnte. Sie hat dafür gesorgt, dass meine gesamte Feldpost und Karten sowie Briefe aus Gefangenschaft noch vorhanden sind. Ein Dokumenten-Fundus von unschätzbarem Wert und Stütze für die persönliche und familiäre Erinnerung an Kriegs- und Nachkriegszeiten.
Mein Vater Karl Schöpe, geb. am 12.Februar 1891 in Geringhausen war nach dem Schulbesuch in der elterlichen Landwirtschaft beschäftigt. Seine Eltern besaßen in Geringhausen größere Ländereien, die bis heute noch im Familienbesitz sind. Karl kam mit seiner Heirat nach Velken, wo er die Landwirtschaft mit seiner Frau Lina gemeinsam betrieb. Er war ein Treuherziger ohne Falsch; das Gegenteil von berechnend und misstrauisch, tolerant und gutgläubig, sodass er gelegentlich über den Tisch gezogen wurde wie etwa beim Viehhandel. Als Vater hat er sich wenig um die Erziehung seiner beiden Söhne gekümmert. Das überließ er seiner Frau Lina, meiner Mutter.
Meine Mutter Caroline, genannt Lina, geb. Schmidt kam am 01.Juni 1891 in Velken zur Welt. Auch ihre Eltern betrieben eine Landwirtschaft, von der die Familie leben konnte. Ihre Eltern, also meine Großeltern, hatten bestimmt, dass meine Mutter Lina den elterlichen Hof übernimmt. Mutter Lina war ebenfalls gutmütig und treuherzig, ohne Arg und Falsch. Sie überlegte und plante vorausschauend. Für technische Neuerungen, die die Landarbeiten erleichterten, war sie zu gewinnen. Wenn sie davon überzeugt war, ergriff sie die Initiative und setze es in die Tat um, auch gegen Bedenken oder Zögern des Vaters. Schulden brauchten sie keine zu machen.
Um sich die Heuernte zu erleichtern, hatten sich die Eltern als erste in Velken einen Heuaufzug zugelegt, mit dem das eingefahrene Heu vom Pferdewagen maschinell in die Scheune transportiert wurde. Das geerntete Heu in Handarbeit abzuladen und in der Scheune raumsparend zu verstauen, das war besonders schweißtreibend und wegen des Heustaubs ungesund. Wenn wir Kinder auch manch mal gerne im Heu balgten und tobten, Heuabladen war auch für uns Kinder kein Vergnügen.
Neben den Unterhaltskosten für zwei Familien blieb noch genug Geld übrig, für die Anschaffung moderner Maschinen. Grundlage hierfür waren Ackerbau und Viehhaltung. Gerade die Viehhaltung, namentlich auch die Milcherzeugung sicherte ihnen ein zuverlässiges und regelmäßiges Einkommen. Der Ackerbau mit Getreide und Kartoffeln diente vorwiegend der Eigenversorgung.
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Wie schon angedeutet, hatten meine Großeltern bestimmt, dass ihre Tochter Lina den elterlichen Hof übernimmt, ihre andere und ältere Tochter Ida, geb. am 31.Mai 1889 Hauswirtchaft erlernt und möglichst standesgemäß heiratet, was auch zunächst glücklich aufging. Sie bekam eine reichliche Mitgift, von der sie und ihr Ehemann Franz Laddach, Gandarmeriemeister, sich alsbald eine eigenes Familienhaus in Ruppichteroth mit Aussteuer sowie ein Auto leisten konnten, was Anfang der 1930er Jahre einen gewissen Wohlstand verriet. Aus der Ehe gingen 2 Kinder hervor, Tochter Hildegard und Sohn Siegfried.
Als die Ehe in die Brüche ging, zog Tante Ida mit ihren beiden Kindern, Hildegard und Siegfried wieder nach Velken in ihr elterliches Haus. Bisher hatte die Familie Schöpe mit ihren beiden Söhnen Herbert und Heinrich allein in dem alten Fachwerkhaus gewohnt, jetzt mussten wir zusammen rücken, um das Zusammenleben zweier Familien zu ermöglichen. Im Nachhinein bewundere ich, wie reibungslos und konfliktfrei sieben Personen (3 Erwachsene und 4 Kinder) auf so engem Wohnraum viele Jahre zusammen gelebt haben. Das alte elterliche Fachwerkhaus bot bei Weitem nicht so großzügige Wohn- und Lebensverhältnisse, wie wir es heute gewohnt sind. Dass das Zusammenleben zweier Familien dennoch unter einem Dach so harmonisch verlief, war vor allem auch der toleranten Einstellung meiner Eltern zu verdanken. Mutter Lina war ebenfalls gutmütig und treuherzig, ohne Arg und Falsch. Sie überlegte und plante vorausschauend. Für technische Neuerungen, die die Landarbeiten erleichterten, war sie zu gewinnen. Wenn sie davon überzeugt war, ergriff sie die Initiative und setze es in die Tat um, auch gegen Bedenken oder Zögern des Vaters. Schulden brauchten sie keine zu machen. Die Schuldenbremse, von der heute so viel geredet wird, praktizierten sie schon in den 1930-er Jahren.
Auch bei der täglichen Arbeit war Mutter Lina die engagiert zupackende mit erstaunlicher Ausdauer. Gerade hier zeigten sich gegensätzliche Eigenschaften, die zu ehelichen Streitigkeiten führten. Während mein Vater beispielsweise nach getaner Feldarbeit sich gerne ausruhte, obwohl das Vieh noch versorgt werden musste, machte sich die Mutter direkt ans Melken, um zeitig Feierabend machen zu können.
Sie erwirtschafteten für sich und für die Familie Laddach - Mutter Ida mit den beiden Kindern - so viel, dass sich alle ein auskömmliches Leben leisten konnten. Kinderferien bestanden darin, dass Mutter bzw. Tante Ida mit uns Vieren eine interessante Tagesreise an den Rhein oder auch einmal nach Düsseldorf zur Weltausstellung unternahm. Neben der Schule gab es keine musische oder sonstige kulturelle Erziehung.
Neben den Unterhaltskosten für beide Familien blieb noch genug Geld übrig, für die Anschaffung moderner Maschinen. Grundlage hierfür waren Ackerbau und Viehhaltung. Gerade die Viehhaltung, namentlich auch die Milcherzeugung sicherte ihnen ein zuverlässiges und regelmäßiges Einkommen. Der Ackerbau mit Getreide und Kartoffeln diente vorwiegend der Eigenversorgung.
Im Dorf Velken hatten meine Eltern - um sich die Arbeit zu erleichtern - den ersten Heuaufzug, mit dem das eingefahrene Heu vom Pferdewagen maschinell in die Scheune transportiert wurde. Das geerntete Heu in Handarbeit abzuladen und in der Scheune raumsparend zu verstauen, das war besonders schweißtreibend und wegen des Heustaubs ungesund. Wenn wir Kinder auch manch mal gerne im Heu balgten und tobten, Heuabladen war auch für uns Kinder kein Vergnügen.
Alle landwirtschaftlichen Arbeiten mussten in den 1930er Jahren noch weitgehend von Hand und mit Pferden als Zugkraft gemacht werden.
Wenn auch meine Eltern bei der Landwirtschaft nicht so harmonisch zusammen arbeiteten, so waren sie in ihrer politischen Gesinnung ein Herz und eine Seele. Während sie anfangs, wie bei der ersten und letzten freien Wahl im März 1933 noch für Hitler gestimmt hatten, merkten sie bald, Hitler bedeutet politische Gewalt und Meinungsdiktatur, Terror und Krieg.
Als selbständige Landwirte oder Bauern waren sie seinerzeit in mancherlei Hinsicht privilegiert. Im Vergleich zu Angestellten oder Beamten brauchten sie sich nicht politisch anzupassen, um berufliche oder sonstige existenzielle Nachteile zu befürchten. Sie haben sich von der Nazi-Demagogie nicht kritiklos vereinnahmen lassen. Weiterhin beobachteten sie kritisch die politische Entwicklung. So auch Hitlers Krieg von Anfang an.
Nie habe ich erlebt, dass sich meine Eltern über deutsche Kriegserfolge gefreut oder sie bejubelt hätten. Nie haben sie vom deutschen Endsieg geträumt oder ihn je erwünscht. Während dem deutschen Volk trotz aller Niederlagen an allen Fronten bis zum Totaluntergang der Endsieg vorgegaukelt wurde, hatten sich die Eltern längst auf einen verlorenen Krieg eingestellt.
Damit das deutsche Volkes bis zum bitteren Untergang am Endsieg glauben sollte, durfte nur der Großdeutsche Rundfunk aus Königswusterhausen, (östlich von Berlin) gehört werden. Jeder Auslandssender galt als Feindsender, den abzuhören war als sog. "Schwarzhören" strengstens verboten. Trotzdem haben meine Eltern in der Regel jeden Abend den Londoner Rundfunk, die BBC, abgehört mit dem Sendezeichen: tam, tam,tam, tam---tam, tam, tam, tam! Hier ist England, hier ist England. Damit uns kein unerwünschter Gast beim "Schwarzhören" überraschen
konnte, haben wir Fenster und Türen geschlossen und verriegelt.
Diese Nazi-kritische Einstellung meiner Eltern hat offensichtlich auch ihr ukrainischer Fremdsarbeiter Wasil Sawenok mit bekommen. Er wurde den Eltern als Ersatzkraft für ihren eingezogenen Sohn Herbert 1942 zugewiesen. In einem Nebengebäude hatten sie ihm eine separate Wohnung eingerichtet, was ihm ermöglichte, seine Freizeit an Abenden oder an Sonn- und Feiertagen ungezwungen zu verbringen. Er nutzte das auch weidlich aus, was meine Eltern stillschweigend billigten. Das führte wiederholt dazu, dass die Polizei ihn bei seinen ausgedehnten Freigängen aufgabelte und er aus dem polizeilichen Gewahrsam abzuholen war.
Zu allen Mahlzeiten bekam Wasil das gleiche Essen an Qualität und Quantität wie die Eltern selbst. Oft antwortete er auf Nachfragen meiner Mutter: "Genug, genug!". Solange er bei den Eltern war, hat er keinen Hunger erleiden müssen. Ebenso hielten sie es mit der Bekleidung für Wasil und den Rauchwaren, die ja auch kontingentiert waren. Für diese humane Behandlung hat sich Wasil später erkenntlich gezeigt. Als nämlich nach dem verlorenen Krieg befreite und marodierende Zwangsarbeiter sich an Deutschen rächen wollten, stellte sich er schützend vor die Eltern mit den Worten:" Hier nix kaputt machen".
Vater Karl, der das Herz auf der Zunge hatte, hielt mit seiner Antinazi-Gesinnung nicht hinterm Berg. Im Gegenteil, aus Wut und Zorn darüber, dass seine beiden Söhne im Krieg waren, schimpfte er in der Nachbarschaft über Hitler und den Krieg wie ein Rohrspatz. Danach kam er erleichtert nach Hause und erzählte stolz, dass er denen - die noch immer an den Endsieg glaubten - ordentlich die Meinung gesagt habe. Meine Mutter schlug dann aus lauter Sorge vor Denunziation beide Hände überm Kopf zusammen mit den Worten: "Du bringst uns noch alle an den Galgen." Als anerkannter Nazi-Gegner wurde mein Vater nach dem Krieg in den ersten Gemeinderat von Ruppichteroth gewählt.
Solche "Wehrkraft zersetzenden Äußerungen", zumal in der Nachbarschaft verbreitet, waren schlimme Verbrechen gegen die Kriegsmoral und gegenüber der NS - Kriegsrhetorik, die permanent dem deutschen Volk den Endsieg versprach und vorgaukelte. Wer offene Augen und Ohren für die Kriegs - Realitäten hatte, musste spätestens nach der Stalingrad-Katastrophe erkennen, dass der Krieg verloren war und dass Hitlers Größenwahnsinn, ganz Europa zu erobern und zu kolonialisieren, letztlich für Deutschland nicht gut ausgehen könne.