Bilderbuch Ruppichteroth

Geschichten aus dem Bröltal - Reichkristallnacht in Ruppichteroth


Im November 2008 hat www.broeltal.de anlässlich des Ruppichterother Schweigemarsches mit dem Zeitzeugen Hans Ottersbach (geb.1922; verst. 2010) aus Schönenberg (damals Ahe) gesprochen, um Eindrücke zu sammeln, was wohl ein Ruppichterother damals empfunden hat.

Hans Ottersbach berichtete über das Geschehen am 10.11.1938 in Ruppichteroth:

Ich komme aus einer gläubigen Familie. In meinem Elternhaus war es an der Tagesordnung, dass jeder Mensch, woher er auch kam, welchen Glauben er auch hatte, mit Respekt behandelt wurde. Das erste Mal, dass ich bewusst damit konfrontiert wurde, dass irgendetwas mit den jüdischen Mitbürgern „im Gange“ war, war im Januar 1935. Ich reiste mit meiner Mutter Maria Ottersbach - gebürtige Saarländerin -  zur Saarabstimmung. Die jüdische Familie Nathan, die im heutigen Haus von Dr. Pach wohnte, bat uns, ein Paket nach Lothringen zu Verwandten mitzunehmen, um ein paar Dinge in Sicherheit zu bringen. Meine Mutter und ich wussten nicht, was in dem Paket war. Es war selbstverständlich, dass wir diese Bitte erfüllten. Wir kannten die Nathans gut und lebten mit ihnen in freundschaftlicher Gemeinschaft zusammen, wie viele Ruppichterother auch. Dass sie jüdischen Glaubens waren interessierte die meisten damals nicht...

Am Donnerstag, 10. November 1938, in den frühen Morgenstunden machte ich mich zu Fuß von Ahe nach Ruppichteroth auf, damit ich rechtzeitig um 7 Uhr bei meinen Lehrherren, den Gebrüdern Willach, anlangte. In Ruppichteroth angekommen hörte ich ein lautes Getöse und Klirren im Ort, was wohl aus der Wilhelmstraße kam. Ich machte einen Abstecher von der Brölstraße hoch ins Dorf, neugierig zu sehen, was da los war. Ich sah eine Gruppe fremder Männer. Sie warfen mit Steinen die Fenster der Synagoge ein und versuchten sich dort Eintritt zu verschaffen, was auch gelang. Erregte Nachbarn standen auf der Straße, versuchten durch Fragen und Einschreiten Klarheit zu bekommen. Sie wurden wirsch beiseite befohlen und die Fremden begannen Feuer zu legen. Ich musste weiter, weil ich pünktlich auf der Arbeit sein wollte. Später habe ich erfahren, dass SA und SS Truppen aus dem Oberbergischen die Synagoge angezündet hätten. Das Gebäude war im Innern vollkommen ausgebrannt. Der Judenstern, an der Vorderseite in Stein eingemeißelt, war beseitigt worden. Auch die Fenster des Hauses der Familie Nathan waren zu Bruch gegangen.

Meine nächste markante Begegnung war im Jahre 1941. Ich hatte als Marinesoldat Heimaturlaub bekommen, damit ich an der Beerdigung meines Bruders teilnehmen konnte. Von Königsberg aus war ich mit der Bahn nach Hause gelangt. In Ahe stieg ich uniformiert aus dem Bröltalbähnchen. Der jüdische Mitbürger Gärtner, der in Herrenbröl im Steinbruch arbeitete und in Ruppichteroth gegenüber der alten Schule wohnte, kam zu Fuß von der Arbeit. Er hielt mich an: „Na Jung, hast Du Heimaturlaub? Sicher schön zuhause zu sein. Ich weiß wie das ist, da ich selbst im 1. Weltkrieg Soldat war.“ Wir gingen ein Stück des Weges und plauderten. Auf einmal wurde ich von einer mir bekannten Frau angehalten. Sie fuhr mich an: „Wie kannst Du Dich als deutscher Marinesoldat in Uniform mit einem Jüdden unterhalten? Dafür wirst Du bestraft und das melde ich weiter!“ Ich habe ihr entgegnet, dass ich mir das nicht verbieten lassen würde. Zur Strafe kam es nicht mehr, da ich kurzfristig zurück an die Front auf mein Minensuchboot musste.