Bilderbuch Ruppichteroth

Abstellung an die Front

Nach dem oben geschilderten, mir wochenlang vorkommenden Nomadenleben, wurde ich in eine polnische Familie im Dorf Nowa Hutta einquartiert. Die  Deutsche Wehrmacht hatten  hier in einem langgestreckten  Straßendorf  zwischen Radom und der Weichsel alle Wohnhäuser der polnischen Bevölkerung  für ihre Soldaten requiriert, also beschlagnahmt, was übliche Praxis von Besatzungstruppen war bzw.ist. So wurde ich auch in ein kleines polnisches Familienhaus einquartiert,  das schon mit 3 Soldaten belegt war, mit  einem  Stabsgefreiten namens Moos, einem ROB (Reserve-Offiziers-Bewerber) und einem Gefreiten meines Alters.

Der Stabsgefreite, ein altgedienter und Front erfahrener  Soldat, war sozusagen unser Stubenältester. Als solcher  verhielt sich  uns Dreien gegenüber korrekt und kameradschaftlich, ganz anders gegenüber unseren polnischen "Gastgebern". Diesen  gegenüber  führte er sich wie ein echter Besatzer auf. Jeden Morgen musste der polnische Hausherr, ein etwa 30-40-jähriger Mann unsere Stube aufräumen und "Besen rein" fegen. Im Befehls- und Kommandoton maßregelte er ihn, gleichzeitig fuchtelte er mit seiner Pistole herum. Damit wollte er seinen Weisungen gebührend Nachdruck  verleihen.

Dieses Siegergehabe erinnerte mich an Herberts Worte, wie ich mich in meinem Brief vom 2.12.44 erinnerte. ..Ja, als Soldat in fremdem Land lernt man nichts Gutes hinzu, im Gegenteil. Ich befinde mich nun in derselben Situation, die uns Herbert in machen, wenn eine Truppe in der  Etappe eines  besetzten Landes in Ruhe ist. Die alten Landser, die schon in vorderster Linie so viel erlebt haben, fühlen sich dann wohl u. die armen Hausbewohner müssen sehr darunter leiden. Ich helfe mir selbst, wo ich nur eben kann .    

Ich hatte Mitleid mit den verschüchterten polnischen Bewohnern. Über 5 Jahre hatten sie die deutschen Besatzer ertragen müssen. Sie waren ängstlich, andererseits hofften sie auf baldige Befreiung von den deutschen Peinigern. Ich mochte dieses Besatzer-Gehaben  nicht  und stellte ihn zur Rede: "Weiß Du, wo wir  Morgen sind? Vielleicht  in Gefangenschaft, dann musst du kuschen ". Das hat er widerspruchslos akzeptiert. Vielleicht sah er ein, dass ich garnicht so Unrecht hatte. Sonst hätte er mich auch anschwärzen könnnen mit schlimmen Folgen für mich. Denn am Sieg der Deutschen zu zweifeln, das durfte man nicht und wurde  hart bestraft.
                
Auch ein weiteres  Mal habe ich mich ziemlich weit vor gewagt.  Als im Dezember 1944, kurz vor Weihnachten die sog. Ardennenoffensive losging. Deutsche Truppen war es gelungen, in dem Ardennen-Gebirge feindliche Angriffe abzuwehren und erfolgreich in die Gegenoffensive zu gehen.  Erste Anfangserfolge ließen unseren ROB jubeln:"Das ist die Wende zum Endsieg!" Darauf ich: "Das ist doch nur ein Strohfeuer, mehr nicht."  

In meinem Soldatenbrief vom 18.12.1944 schreibe ich dazu:
Noch ein Wort zur Lage. Den neuesten Meldungen zufolge ist unsererseits eine große Gegenoffensive im Westen eingeleitet worden. Hier wird schon von großen Erfolgen gesprochen u. noch größere werden erwartet. Einige hören schon die Siegesfanfaren erschallen. Hoffentlich geht es nicht wieder wie damals in den ersten Einsatztagen der "V 1" u. am Ende stellt es sich mehr als eine  Propagandaoffensive heraus als sonst. Abwarten ist in diesem Fall am Platz.
                   
Die "V1" stand für "Vergeltungswaffe 1".  Dabei handelte es sich um die ersten Raketen, die in Swinemünde von den  Experten um Wernher von Braun erfunden und konstruiert worden waren. Sie sollten den Bombenkrieg der Alliierten über Deutschland wie überhaupt deren Siegeszug  vergelten und die entscheidende Kriegswende zu Gunsten der Deutschen bringen. Doch diese ersten V1-Raketen erreichten ihr Ziel England nicht. Sie stürzten kurz nach dem Start wieder ab.  

Nachdem sich die "V1" als erfolglose Waffe erwiesen hatte, wurde  die zwischenzeitlich  weiter entwickelte und etwas verbesserte  Rakete  als  "V2"  propagandistisch nachgeschoben. Mit dieser Wunderwaffe - so die Propaganda - sollten die vorrückenden englischen und amerikanischen Truppen, die schon weit ins Rheinland vorgedrungen waren,  vernichtend geschlagen und zurück gedrängt werden. Nichts wurde von den Nazis unversucht gelassen, um das Volk bis zum bitteren Ende bei der Stange zu halten.
 
Dass ich nicht mehr an den immer wieder versprochnen Endsieg glaubte,  haben wohl auch unsere polnischen "Gastgeber" bemerkt. Jeden Morgen ging ich mit dem "Herbergsvater" an die frische Luft und machte mit ihm  gemeinsam seine  Bewegungs- oder Gymnastikübungen zum Aufwärmen. Dabei schlug er sich beide Arme um den Oberkörper mit den Worten: "Schimno, Pan, schimno Pan ",was soviel bedeutete:" Kalt  mein Herr".

Ich machte diese  allmorgendlichen "Gymnastik-Bewegungen" gerne mit,  auch um ihm zu zeigen, dass ich den polnischen "Quartiergebern" innerlich näher stand als unserem Stubenältesten.  Wenn ich alleine "zu Hause" war, tischten sie  mir  ein Extraessen auf, was natürlich wegen der miesen Soldatenverpflegung bei mir gut ankam. Auch wenn ich mir mal was Extras kochen oder braten wollte, halfen sie mir mit Gewürzen und Kartoffeln aus. Dazu schreibe ich im  Brief vom 18.12.44:

...Gestern haben wir pro Mann 3 Eier bekommen. Natürlich mußten sie     sogleich auch     alle 3 dem hungrigen Magen zugeführt werden. Doch ich habe     mich gestern mit einem Spiegelei begnügt, u. heute Abend habe     ich mir     “Pannenbrei” gemacht. Die     fehlenden Zutaten haben ich  von unseren     Quartierleuten bekommen. Als mein Kuchen ferig war, wurde er von den     übrigen als ein gutes u. wohlschmeckendes     Fabrikat bezeichnet.

Unsere polnischen "Gastgeber" sahen in mir eher einen Freund als Feind und wollten  dies auch mir gegenüber deutlich zeigen. Ansonsten war die polnische Bevölkerung nicht gut auf uns zu sprechen, was verständlich war. Fünf Jahre deutsche Besatzung, Willkür  und  Gewalt hatten sie  mehr schlecht als recht überstanden. Doch trotz bevorstehender Befreiung von deutscher Besatzung durch die Rote Arme wagten sie sich nicht aus der Deckung. Vielleicht trauten sie auch den Russen nicht.

Im Folgenden lass`ich meine Feldpostbriefe erzählen (vom 21.12.44 bis 10.1.45):

Dass meine Gedanken damals mehr bei den Eltern, bei Bruder Herbert und Vetter Siegfried  waren als bei der Truppe, kann fast jedem Brief entnommen werden. Der folgende vom 21.12.44 verrät darüber hinaus besonders deutlich meine melancholische  Gemütsverfassung und mein Urteil über sinnlose Militäraktionen:
        Meine Lieben!
Soeben komme ich von einem einsamen Morgenspaziergang, so kann man es wohl nennen, zurück.Es war ½ 8.00 Uhr als die Sonne gerade ihren ersten Schein über den Horizont warf. Wo meine Gedanken auf dem ganzen Weg waren, brauch ich wohl nicht mehr besonders zu erwähnen. So gehen bei jeder ruhigen Gelegenheit meine Gedanken zu Euch. Noch niemals habe ich so viel an euch, u. Herbert u. Siegfried gedacht. Nun werden es auch schon 6 Wochen, daß ich nichts mehr von Euch und Siegfried u. etwa 10 Wochen, daß ich nichts mehr von Herbert gehört habe. Da liegt doch auch wohl alle Ursache vor , sich Gedanken zu machen. Mögen doch noch zur Weihnachtszeit gute Nachrichten mich erreichen, damit ich wenigstens eine Weihnachtsfreude hätte. Als ich heute morgen so querfeldein daher ging, dachte ich, Ihr würdet sicher am Kaffeetisch sitzen u. untereinander stellt Ihr euch sicher  die Frage:
    wo u. was werden wohl Herbert, Siegfried u. Heinrich essen? So vergegenwärtige ich mir jeden Augenblick Eure Arbeit zur entsprechenden Zeit. Durch den verfrühten Sonnenauf- u. -untergang bin ich etwas darin verwirrt.  Schreibt mir bitte einmal Euren augenblicklichenTagesverlauf. Die kürzesten Tage sind nun vorbei, doch gleichzeitig hat auf dem Kalender der Winter begonnen. (Zusatzzettelchen):
Obwohl in den letzten Nächten der Himmel wolkenlos war, hat es nicht allzu stark gefroren. - Wenn Euch dieser Brief erreicht, werdet Ihr wohl das Weihnachtsfest schon gefeiert haben u. das Neujahr wird vor der Tür stehen. Drum will ich Euch schon heute ein glückliches Neues Jahr wünschen. Zur Sicherheit und Kontrolle will ich noch einmal erwähnen, daß ich am Montag die Päckchenmarke nach Hause geschickt habe. Solltet Ihr längere Zeit nichts von mir gehört haben, dann macht Euch nicht gleich große Sorge, denn die Post kann auch die Schuld tragen. Ich schreibe Euch im allgemeinen jeden 2. Tag, also wöchentlich 3 – 4 mal. Sonntags könnt Ihr immer  einen Brief von mir erwarten.
Gestern waren wir in aller Frühe nach Radom zur Partisanenbekämpfung, zwar erfolglos. Es ist schon gut, daß es zu keinen Zusammenstößen kam. - (Fortsetzung) Zum Schluß noch eine Begebenheit, die sich soeben abspielte. Es war  eine Aktion, die sich wieder richtig ins militärische zog, von der ich gerade zurück komme.  Stellt Euch vor,  3 verdächtige Personen werden in einer Entfernung von 2 oder mehreren km gesehen u. sollen bis zu ihrer Festnahme zu Fuß verfolgt werden. Nur, daß das von vornherein aussichtslos erscheint, muß doch wohl jedem klar sein; scheinbar aber nicht, sonst hätten wir nicht wahllos noch km weit zu laufen brauchen. Solche sinnlose Scherze geschehen jeden Tag. Ich will Euch nicht die Schlimmsten schreiben, sonst . . . Aber wer muß darunter leiden? Doch manchmal, wenn ich so allein daher troddle kann ich die Tränen nicht mehr halten u. mit heißester Sehnsucht wünsche ich mich zurück zur Heimat. Aber, ja, das große Aber . . .
Seid mir für heute recht herzlich gegrüßt, Euer Heinrich

In meinem nächsten Brief von 22.12.44 erinnere ich an den Tag vor einem Jahr, als ich zum ersten Mal Urlaub als Flakhelfer bekam und glaubte, damals schon einen gewissen "Tiefstand" erreicht zu haben:...Voriges Jahr war der heutige Tag für mich ein schöner Tag. Vielleicht erinnert Ihr Euch noch. Es war Mittwoch, der 22.Dez. 43 nachmittags 5.00 Uhr als ich zum ersten Male für 3 Tage in Urlaub kam. Damals glaubte ich schon, es wäre eine schwere Zeit für mich, aber wie hat sie sich inzwischen verschlechtert u. habe noch immer nicht den Tiefststanderreicht; jedoch fehlt nicht mehr viel davon. Diese Woche bin ich noch kaum zur Ruhe gekommen. Heute z.B. mußten wir um ½ 5 Uhr  raus zur Übung u. gleich um 19.00 Uhr geht´s schon wieder ab zum Nachtschießen. Morgen früh um 6.00 Uhr raus zum nächsten Schießen. Während der Nacht noch 2 Stunden Wache, was da an Schlaf übrig bleibt . . .? Das Essen, was es hier gibt . . .! Zu Hause hätte ich es gewiß nicht angerührt. Nun, was dadurch erreicht werden soll, liegt klar auf der Hand. Aber bei mir verfehlt es trotzdem sein Ziel.Ich bin einmal gespannt, wie die Weihnachtstage verlaufen. Na, ich trau`denen alles zu. - Bei der heutigen Übung habe ich die ersten Granaten hören pfeifen u. gesehen einschlagen. Ein (eigener) Kurzschuß schlug in unmittelbarer Nähe bei uns ein ..
           
Ich brauchte nicht mehr lange zu warten, bis ich russiche Granaten, Maschinen-gewehrfeuer und  Kanonendonner hören und sehen konnte bzw. musste.
                    
Doch vorher möchte ich aus jenen  Dezembertagen    meine  Feldpostbriefe erzählen lassen,    die meine  damaligen Sorgen und Probleme, meine  Gemütsverfassung  und Einstellung zum Militär sowie Krieg und nicht zuletzt meine Sehnsucht nach Frieden und mein Heimweh am deutlichsten verraten. Authentischer geht`s nicht.

Meine Lieben                        4.Advent 1944
Heute am Heiligabend sowie morgen und am 2. Weihnachtstag werden besonders Eure Gedanken, genau wie unsere bei uns bzw. Bei Euch weilen u. schöne alte Erinnerungen erwecken. Man darf sich überhaupt nicht vorstellen, wie schön es sein könnte u. wie schön es war oder man ist gleich in eine Stimmung versetzt, die eigentlich der Soldat nicht haben darf. Aber ein Soldat, der weiß, daß er ein ordentliches Heim hat u. seine Angehörige besorgt um ihn sind,der kann es nicht unterlassen. Ich will euch heute nur einenkurzen Bericht abstatten, damit dieser Brief noch gleich den Weg in die Heimat antritt und zur Feier des morgigen Tages muß doch bestimmt ein Wort zur Weihnachtfestlichkeit gesprochen werden. Zunächst eine gute Mitteilung. Die Feiertage werden bei uns auch voraussichtlich einigermaßen ruhig verlaufen. Als Voraussetzung ist gestellt, daß der Iwan keinen Rabatz macht. Was es noch als Weihachtsbescherung gibt, weiß ich nicht. Darüber folgt morgen weiterer Bericht.- Sehr wahrscheinlich bekomme ich noch eine Päckchenmarke u. zwar von unserem Uffz. (ROB). Er hat nämlich nächste Woche seine 2 Monate Frontbewährung zu Ende u. kommt auch tatsächlich kurz nach Neujahr nach Deutschland zurück. -


ROB bedeutet Reserve-Offiziers-Bewerber. Daran habe ich auch gedacht, weil solche Bewerber oft nach kurzem und ungefährlichem Fronteinsatz in die Heimat zurück beordert wurden, wie der erwähnte Fall bestätigte. Durch die sog. "Päckchenmarken", auf die ich so scharf war, wurde der Feldpost-Paketdienst rationiert. Viele Kameraden hatten keine Eltern, die sich von der ohnehin spärlichen Lebensmittelversogung in der Heimat noch etwas vom Mund hätte absparen können. Insoweit waren meine Eltern als Bauersleute previligiert. Sie konnten ihren Söhnen öfter Lebensmittelpäckchen schicken. Damit die Päckchenmarken mehrmals benutzt werden konnten, wurden diese vorher regelrecht mit  Seife "beschmiert", sodass man den Poststempel abwischen und die Marke mehrmals benutzen  konnte. Außerdem brachten wir die Feldpostpäckchen zu einer Poststelle in Benroth, die von einer  ehemalige Velkenerin verwaltet wurde. Sie kannte uns und war behilflich  bei den Päckchenmarken - Manipulationen.

Mein nächster Brief datiert vom 26.12.44
    
Meine Lieben!

Erst heute am späten zweiten Weihnachtsfeiertag komme ich dazu Euch meinen versprochenen    Weihnachtsbrief zu schreiben. Zwar ist der 1. Fesstag ruhig verlaufen, aber daß uns am 2. Weihnachtstag die Ruhe gegönnt wurde, war doch gewiß zuviel. Somit hatte ich mein reichliches Weihnachtsvergnügen, leider auf der negativen Seite.
Aber meine Weihnachtswünsche sind doch zur Genüge in Erfüllung gegangen: Am 1. Weihnachtstag erhielt ich von Herbert  u. heute von Euch den ersten Brief, die beide vom 13.12.44 datiert waren u. wie habe ich mich gefreut, daß Herbert, wie Ihr mir noch alles Gute berichten konntet. Leider hat nun zur Weihnachtszeit eine 3. Großoffensive der Russen in Kurland begonnen. Herbert beklagte sich über die Rauchrationen. Ich habe ihm bereits einige zukommen lassen. Ich kann doch nichts damit erreichen. - Nun möchte ich ein Wort zu Weihnachten sagen. Zunächst hoffe ich, daß Ihr ein fröhliches und ruhiges Fest verlebt habt. Wer hat denn den Weihnachtsbaum geholt? Ich habe oft, während der beiden Tage meine Gedanken nach Hause gelenkt u. dachte z.B. in der Abendstunde würdest Du zu Hause hinter einer schönen Schachpartie sitzen u. nebenbei noch die leckeren Weihnachtssachen essen. Als ich an all die schönen Weihnachtsplätzchen dachte, lief mir das Wasser im Mund zusammen u. Hildegard wird doch sicher ihre Fähigkeiten bewiesen haben. Wir haben zu Weihnachten Pfefferminze, ½ Tafelschokolade, 2 Beutel Bonbons, 50 Zigaretten u. Schnaps bekommen.Hoffentlich habt Ihr meinen Brief mit der 2kg-Marke erhalten u.ich werde vielleicht in einer Hinsicht noch etwas nachholen können.
Eins hat mich auch noch erfreut, daß Siegfried noch in Bonn ist. Es wird ihm ja bestimmt sehr leid sein inder Kaserne,was ja auch bestimmt der Fall war.Aber woanders wird es ihm genau so  ergehen. Alles, was schon mit Kommiß zusammenhängt, ist bei mir wenigstens, mit Unzufriedenheit u. innerer Reaktion verbunden. Wenn er noch das Glück hat, wie bei uns die ROB, dann kann er froh sein. Denn sie haben während der Ruhezeit ihre Frontbewährung gemacht u. im Grunde genommen keine Kugel hören pfeifen. Und wenn ich nun hinzufüge, daß sie solches Glück ohne etwas daran zu tun gehabt haben, dann werde ich, meiner Meinung     nach,, dieser Tatsache Glauben schenken können.
Nun schreibt mir bitte mal etwas Genaueres über Verhältnisse , wie sie sich in letzter Zeit bei Euch zu Hause geändert haben. Das Wetter ist hier, wie bei euch nicht der Jahreszeit entsprechend. Zwar hat es inden letzten Tagen gefroren, aber es scheint wieder umzuschlagen, weils noch keinen Schnee gibt.
Ich will nun meine Zeilen beenden u. sende Euch die besten Grüße,
Euer Heinrich


Im  Brief vom 28.12.44 will ich die Eltern beruhigen, wenn mal ein erwarteter Brief nicht pünktlich eintrudelt und schimpfe  wieder kräftig über den militärischen Humbug oder den (militärischen) Mist, der sich bis zum Unvorstellbaren steigert und bei mir  --ironisch gemeint - "Freude und Lust " erzeugt:        

        Meine Lieben!                    28.12.44

Obwohl ich gerade heute abend mich nicht in der richtigen Lage befinde, um Briefe zu schreiben, so will ich Euch doch einige Worte zur Beruhigung zukommen lassen. Ihr kennt doch die Postverhältnisse in der Heimat, darum macht Euch nicht gleich Sorge, wenn ein erwarteter Brief einige Tage später ankommt. An Neuigkeiten weiß ich von hier auch nichts von Belange zu sagen. Tag für Tag derselbe M . . . . Zur Abwechslung wird der “militärische Humbug”  ab und zu bis zum Unvorstellbaren gesteigert u. dann wird bei mir erst recht die “Freude und Lust erzeugt”. - Hurra, wir verblödeln. - Unter diesem Motto könnte man diesen Betrieb stellen.
Das Wetter hat sich noch immer nicht endgültig entschieden. Es ist bestimmt äußerst günstig, wenn es noch nicht so mit ganzer Macht wintert.
Ich will nun schließen, um Herbert auch noch einige Zeilen zu schreiben.
Seid herzlich gegrüßt Heinrich

In meinem  erster Brief in 1945 erinnere ich mich daran, dass ich ein Jahr zuvor als Flakhelfer in Geisweid - Siegen  ebenfalls in der Silvesternacht Wache stehen musste, diesmal aber das heimatliche Glockengeläut vermißte. Weiter erinnere ich mich an heimatliche Bräuche zum Jahreswechsel und wiederum erbitte ich den lang ersehnten Frieden herbei mit dem Wunsch, dass uns das neue Jahr nicht wieder so schwere Kriegsleiden aufbürdet. Welch ein weltfremder Optimismus meinerseits!
                            
                                 
Meine Lieben! Neujahr 1945 

Mit der Mitternachtsstunde ist soeben das Jahr 1944 durch das Jahr 1945 abgelöst worden. Ich hatte genau wie voriges Jahr das Glück, von einem Jahr ins andere Posten zu stehen. Schlagartig begann überall zur gleichen Zeit das Schießen. Auch die Front, ob es nun von hüben oder drüben kam, weiß ich nicht, war zur Stunde ziemlich unruhig. Aber unter all dem Schießen vermißte ich das heimatlicheGlockengeläute.
...Zur Feier des gestrigen Tages waren wir nach Radom ins Kino. Der heutige Dienst ist ebenfalls gemütlich, aber er kann nicht als Freizeit gewertet werden. Und solange bei mir bei solchen Tagen nicht der Fall ist, . . . . ! Wir können noch froh sein, daß wir die vergangenen Festtage so ruhig verlebt haben.  Wie habe ich in den beiden letzten Tagen in alten Jahr an Euch gedacht u. an die schönen Festtage, die ich bisher mit Euch verleben durfte. War es nicht immer wunderschön zu Neujahr als wir noch alle beisammenwaren? Wenn wir des Morgens aufstanden u. Vater hatte mit etwas Glück ein paar Britzeln gewonnen (Kartenspiel) oder in den letzten Jahren mußtet Ihr sie selbst backen. Schmeckten sie nicht “bestens”? Im übrigen bin ich inzwischen zu der Erkenntnis gekommen , daß alles, was Ihr auch nur an Speisen zubereitet habt von bestem Geschmack war. Das, was ich damals unter Murren aß, würde ich heute als mein bestes Essn hinstellen. Wenn ich manchmal an die Vielseitigkei denke u. mir dies u. jenes in Erinnerung kommt, dann läuft mir das Wasser im Munde zusammen. Ich will mit diesem Teil Schluß machen, denn es hilft doch alle nicht. hoffen wir, daß uns das Jahr 1945 nicht solche schweren Kriegsleiden aufbürdet u. möge uns Gott doch in diesem Jahr den ersehnten Frieden schenken. So denken wohl unzählige Menschen. Aber . . .(Zusatzzettelchen): Haben wir nicht schon 6 mal so gedacht u. gesprochen am Neujahr? - ...  In der vergangenen Nacht konnte ich durch den Trubel und Specktakel der “Fröhlichen” meinen Brief nicht fortsetzen...  trotzdem hoffen wir auch heute auf ein friedenbringendes Jahr. Diese Hoffnung darf niemals zunichte gehen, denn sonst . . . . ?! Auf Neujahr eventuell einen Brief von zu Hause zu erhalten, wurde nicht Wahrheit. Seit der ersten Post, habe ich noch keine wieder erhalten. Ich hoffe täglich wieder auf Nachricht von Euch.Ich will nun zum Schluß kommen. Ich wünsche Euch nochmals ein glückliches gesundes Neues Jahr u. möge das Jahr 45 uns tatsächlich den ersehnten Frieden bringen.
Viele Grüße, Euer Heinrich

Leider wurden meine Hoffnungen nicht erfüllt. Meinen Frust habe ich unbewußt mit Briefeschreiben entsorgt. Diese Briefe widerspegeln die seinerzeitigen Lebensverhältnisse, Gedanken und Sorgen, Probleme und deren Lösung. Im folgenden Brief vom 4.1.45  will ich u.a.die  Eltern wegen meiner politischen Geschwätzigkeit beruhigen:

Meine Lieben !                            4.1.45
Nachdem ich soeben meine Körperpflege für heute abend u. damit für diese Woche beendet habe, möchte ich die Gelegenheit ausnutzen, um Euch schnell einen Brief zukommen zu lassen; denn morgen früh fährt unser ROB Uffz. zurück nach Deutschland. Ich will auch gleich die Zulassungsmarke beilegen, die ich von ihm bekommen habe. Verbraucht sie nicht gleich, vielleicht hat Herbert wieder Pech u. Ihr könnt sie dann für ihn benutzen. (Vor Gebrauch einfetten!) ...
Ihr macht Euch anscheinend sehr viel Sorge über meine “freie Meinungsäußerung”. Glaubt mir, ich habe den Entschluß gefaßt zukünftig vorsichtiger zu sein. ...

Im folgenden Brief vom 8.1.45 schreibe ich mal wieder Näheres über die Päckchen -  Zulassungsmarken, die auf ein Päckchen für die Soldaten geklebt werden, weil dieser Paketdienst einerseits , wie alle Feldpost, unfrankiert von der Reichspost befördert wurde, andererseits konnten nur sehr begrenzt viele Päckchen ins Feld geschickt werden. Der gesamte Feldpostverkehr, ob nur Brief oder Päckchen, war für die Daheimgebliebenen wie auch für die Soldaten gleichermaßen wichtig. Es war der einzige Weg, gegenseitig Neuigkeiten und Nachrichten sowie  Kummer und Sorgen auszutauschen. Wenn mal für mich nichts bei der Postverteilung dabei war, konnte ich mich damit trösten, dass  die Vorfreude, bekanntlich die schönste Freude, länger dauerte und ich sie auch dementsprechend  besonders genossen habe. Vielleicht war ich insofern ein Lebenskünstler, der das Beste aus der traurigen Situation zu machen versuchte und zugleich verstand, sich mit kleinen Dingen das Leben  etwas erträglicher zu gestalten.
       
Meine Lieben!                    8.1.45.

Wenn der gewöhnliche Nachtverlauf nicht gestört wird, dann hätte ich eine ruhevolle Nacht vor mir, denn ich hatte das Glück meine Wache bereits 5.00 – 6.00 Uhr zu stehen. Aber beim “Barras” ist eben alles möglich u. so kann ich nicht voraussehen, wie die Nacht tatsächlich verläuft. Jedoch hat sich seit den Feiertagen der Dienst  etwas gelindert. Der Hauptgrund, daß ich Euch heute abend schreibe, liegt darin, daß wir  wieder Päckchenmarken ( 1zu 2kg u. 2 zu 100gr.) bekommen haben. Anscheinend gibt es jetzt nur monatlich eine Markenzuteilung. Eine 2 kg Marke habe ich bereits schon wieder gegen Zigaretten umgetauscht. Immer wieder machen sich Vorteile als Nichtraucher bemerkbar. Hoffentlich sind die bisherigen 2 Marken glücklich angekommen. In diesem Brief lagen 2 (Marken) eine 2kg u. eine 100gr. Marke ein. Die beiden anderen werde ich bei nächster Gelegenheit schicken. Von Herbert wird doch inzwischen auch eine Marke eingetroffen sein. Wenn ich nun auch einige Zulassungsmarken mehr nach Hause schicke, bedeuted das nicht, daß ich auch mehr Pakete haben will. Nun,  legt einmal einige zurück oder Ihr könnt auch Herbert mal ein Paket dafür schicken oder wenn Siegfried einmal als Adresse eine Feldpost Nr. hat, was hoffentlich noch nicht in Kürze der Fall sein wird.:Kurz und gut gesagt, Ihr wißt sehr gut, wie ich`s meine u. wie Ihr die Pakete anfertigt wißt Ihr genau so gut. (Fettigkeiten braucht Ihr keine zu schicken) Im Heimlichen hatte ich heute gehofft, daß auch für mich etwas im Postsack sei, aber auch gut; dafür ist meine Hoffnung auf morgen desto größer u.ich habe die Freude noch vor mir.
Für heute die herzlichen Grüße, Euer Heinrich
 
Mein letzter Feldpostbrief datiert vom 10.1.45. Darin schildere ich von Alltäglichem und ausführlicher von meiner damaligen Stimmung und der meiner Eltern zu Weihnachten.
    
Meine Lieben!                         10.1.45.
Soeben habe ich mich noch einmal gründlich gewaschen; ich tue es wöchentlich 2 mal u. will es so lange es noch möglich ist einhalten, denn man fühlt sich wirklich viel wohler als sonst. Ich will Euch ganz kurz und bündig noch schnell, bevor ich zu Bett gehe, einige Zeilen schreiben. Als Erstes meinen herzlichen Dank für Eure lb. Briefe vom 14. u. 24. 12., die ich heute erhielt. Ich wartete schon seit einigen Tagen auf Post; die Päckchen vom 14.12.  habe ich noch nicht erhalten. Ja, Ihr schreibt mir, daß Herbert auch nur 3 100 gr. Päckchen zu Weihnachten bekommen hat. Hoffentlich sind meine Marken alle angekommen. In diesen Brief will ich auch eine einlegen. - In dem Brief vom Heiligabend schildert Ihr mir Eure Weihnachtsatmosphäre; vom schönen Mondschein; überhaupt vom herrlichen Weihnachtswetter. Ja, meine Lieben, ich erinnere mich auch noch gut, als ich in der Abendstunde meine Wache stand. Der Schnee lag hauchdünn u. der Mond sandte seine Strahlen zu uns hernieder. Ich habe auch da gestanden u. den Mond betrachtet u. meine Gedanken schweiften zu Euch. ...


Danach hatte ich keine Gelegenheit mehr, nach Hause zuschreiben, was meine Eltern veranlasste, bei meiner Einheit  sich nach mir zu erkundigen. Darauf  teilte  meine Dienststelle Feldpostnummer 28 241 meinem Vater am 30.März 1945  folgendes mit:
Die Kompanie teilt Ihnen mit, daß Ihr Sohn, der Panzer-Grnadier Heinrich S c h ö pe,  seit dem 15.Januar 1945 in den Kämpfen bei Opoczno vermißt ist.
Die Kompanie bedauert, Ihnen keine andere Auskunft geben zu können. Sollte Ihnen von einer anderen Stelle Mitteilung über den Verbleib Ihres Sohnes zugehen, bittet die Kompanie um Benachritigung.
Heil Hitler!
Unleserliche Unterschrift
Oberleutnant u. Kp.-Chef


Mit dieser Vermißtenmeldung mussten meine Eltern fast ein Jahr lang leben. Sicherlich eine quälende Ungewißheit mit sorgenvollen Gedanken um mich. Meine erste Karte  aus Gefangenschaft, datierte vom 28.10.45  kam am 2.1.1946 zu Hause an. Darauf hatte ich geschrieben:
Meine Lieben! Die herzlichsten Grüße aus Gefangenenschaft sendet Euch Euer Sohn Heinrich. Ich bin gesund und Wohlauf.Hoffe von Euch dasselbe.Verbleibe mit den besten Grüßen und auf ein baldiges Wiedersehen in der Heimat         Heinrich


Diese Freudennachricht soll sich wie ein Lauffeuer durch die ganze Gemeinde verbreitet haben.Welch eine Erleichterung für meine Eltern, die so sehr um mich gesorgt hatten.