Bilderbuch Ruppichteroth

9. Mai 1945 - Kapitulation - Offizielles Ende des Krieges

Anfang 1945 war Erich Schreiber Soldat der 72. Infanterie-Division.
Mit dem Großangriff der Roten Armee am 16. April 1945 um 5:15 Uhr nahe Görlitz (Gefechtsstandort Troitschendorf) begann die letzte Phase des Endkampfs der Division.
Am 8. Mai 1945 wurde dem letzten Div.-Kommandeur - Gen.-Lt. Beißwänger - der 72. Inf.-Div. offiziell die Kapitulation bekanntgegeben. Für die Heeres-Gruppe sollten die Kampfhandlungen am 9. Mai 0:00 Uhr beendet werden.

„Die deutsche Wehrmacht bestand nicht mehr - wir wollten nur eins „Zum Ami", doch ..."

In seinem Buch „Erinnerungen an Moskau" berichtet berichtet Erich Schreiber über das Kriegsende und den Beginn seiner viereinhalbjährigen Gefangenschaft:

„Die deutsche Wehrmacht bestand nicht mehr.
Das Schreckensgespenst des Krieges war vorbei.
Die Verlierer wurden gejagt und in die Lager getrieben, wo vorher die anderen waren.
Auf abenteuerliche Weise hatten wir, von Prag aus kommend, Lichtenstadt bei Karlsbad erreicht. Wir wollten nur eins: „ zum Ami“, doch wir wurden bitter enttäuscht. Die Amis waren nicht besser als die Russen, sie trieben uns in Lichtenstadt  auf große Wiesen und ließen uns von Tschechen bewachen; ohne Verpflegung, ohne Wasser lagen wir da. Später übergaben uns die Amis an die Russen. Diese kamen und brachten Brot und Butterschmalz mit, die Offiziere waren freundlich und sprachen von Aufräumungsarbeiten für einige Wochen, danach sollten alle in Richtung Heimat entlassen werden.

„Wer nicht mehr laufen konnte, wurde erschossen"

Aus den paar Wochen wurden Jahre. Schreckliche Jahre. In Hundertschaften aufgeteilt, marschierten wir zurück durch die Tschechei. Es war fast die Strecke, die wir uns vor kurzer Zeit bereits mühsam zu Fuß vorgekämpft hatten. Marschroute: über Teplitz  ins Erzgebirge, über Zinnwald, Tippoldiswaldau, vorbei an Dresden, über Meißen, Könngsbrück nach Hoyerswerda, immer bewacht von starken russischen Verbänden.
Das große Leiden hatte begonnen: kaum Verpflegung, Hunger, Durst -  wer nicht mehr laufen konnte, wurde erschossen. In Hoyerswerda standen wir vor einem riesigen Lager. Tausende kamen hier zusammen. Furchterregende Wachtürme standen vor uns, mit MG-Posten besetzt. Das Lager selbst war mit einem doppelten Zaun aus Stacheldraht umgeben.  Es war schon älter, von Deutschen erbaut und wurde von diesen als Lager für Kriegsgefangene benutzt.
Wie viele mögen hier umgekommen sein, ging es mir beim Anblick dieser riesigen Anlage durch den Kopf. Nun also sind wir da und dran - das Blatt hat sich gewendet.
Am Eingang standen schwer bewaffnete Soldaten, auch weibliche waren dabei.
Die große Marschkolonne hielt an; die Fünfer-Reihen wurden auseinandergezogen und „gefilzt“: Messer, Uhren, Feuerzeuge Ringe, alles, was eben brauchbar war, wurde uns abgenommen. „Es könnte zur Fluchthilfe dienen“. So sagte man. Die meisten von uns hatten sowieso nichts mehr an Wert- oder Gebrauchsgegenständen: wir waren ja schon –zigmal durchsucht worden.
Im Lager trieb man uns auf die freien Plätze - die Baracken waren schon zum Bersten voll.
Viele hatten bei dem langen Marsch alles Überflüssige weggeworfen; nur wenige besaßen noch eine Decke oder eine Zeltplane. Ich selbst besaß noch einen Luftwaffenmantel, einen Brotbeutel und eine alte Konservendose: das war alles, was meinen ganzen Besitz ausmachte.
Denn Kochgeschirr, Löffel und Feldflaschen hatte man mir am Lager Eingang auch noch abgenommen.
Der tiefgehende Sandboden tagsüber durch die Sonne erwärmt, nachts wurde es dann bitterkalt; der Sand kühlte ab und wurde feucht. Morgens konnten wir kaum auf den Beinen stehen: die Knochen waren steif geworden. Wenn sich zum Schlafen abends alle hingeworfen hatten, waren die Plätze so voll, dass man nirgends mehr treten konnte.
Toiletten waren überhaupt nicht vorhanden. Man machte sein Geschäft in eine kleine Grube, die man vorher mit den Händen in den Sand gebuddelt hatte. Danach schaufelte man sie wieder zu - wie ein Hund. Nachdem wir ungefähr 14 Tage da waren, wurde eine Grube ausgehoben und mit dem berühmten Donnerbalken bestückt.
Tagelang regnete es. Viele von uns wurden krank. Das Essen war miserabel: ein Stück nasses Brot, vielleicht ca. 250 Gramm, dazu zweimal Rübenblättersuppe. Abends kamen immer einige Kübel Wiesenkraut -Tee.
Damit nahm das große Sterben seinen Anfang, das sich über einige Jahre hinweg ziehen sollte.
Abends schaute ich manchmal über die vielen hingestreckten Leiber und dachte: das ist nun übrig geblieben von der ruhmreichen Hitler-Armee. Wer den Krieg schon knapp überlebte, der wird hier elend verrecken."

Wiedergabe der Texte mit freundlicher Genehmigung von Erich Schreiber, der bilderbuch-ruppichteroth.de die Veröffentlichung seiner Berichte und Gedanken erlaubt hat.
Vielen Dank auch an Anneliese Schumacher, geb. Schreiber, für die Unterstützung bei diesem Projekt.