Bilderbuch Ruppichteroth

Das Arbeitslager Much - „Die erste Etappe in den Tod"

Für sechs Ruppichterother Juden war das Arbeitslager Much (1941 - 1942) „Die erste Etappe in den Tod". So lautete am 27.01.2021 auf broeltal.de die Überschrift eines Artikels zur Geschichte des Lagers . Der Journalist Nicolas Ottersbach beschreibt dort die Geschichte des Lagers und verlinkt im Artikel auf den Film des Muchers Paul Radau, der diese Geschichte in einer Videoschau verarbeitet hat. 

Zum Bericht von broeltal.de.

Zum Film von Paul Radau über das Lager Much

Die folgenden Ruppichterother Mitbürger wurden ins Lager Much eingeliefert:

Gustav und Mathilde Gärtner, geb. Oppenheimer

Wohnhaft in Ruppichteroth, Wilhelmstraße 17
Umzug nach Köln:  24.7.39 Brabanter Straße 27
Einweisung ins Lager Much: 18.6.1941
Deportiert ab Much: 27.07.1942 8:00 Uhr

Moses und Henriette Hess, geb. Nathan

Wohnhaft in Ruppichteroth, Wilhelmstraße 7
Umzug nach Köln: 24.7.39 Brüsselerstr. 67
Umzug nach Köln: 20.10.39 Brüsselerstr. 50  
Einweisung ins Lager Much: 18.6.1941
Deportiert ab Much: 27.07.1942 8:00 Uhr

Julius Nathan

Wohnhaft in Ruppichteroth, Brölstraße
Umzug nach Köln am 24.7.1939 in die Brüsselerstr. 67
Einweisung ins Lager Much (ab Ruppichteroth) am 18.6.1941
Deportiert ab Much: unbekannt

Lydia Marx, geb. Nathan

Wohnhaft in Ruppichteroth, Wilhelmstraße 12
Umzug nach Köln am 24.7.1939 in die Brüsselerstr. 67
Einweisung ins Lager Much (ab Ruppichteroth) am 18.6.1941
Deportiert ab Much: 14.06.1942 8:00 Uhr

Lydia Marx wurde 1942 im KZ Minsk ermordet. Der Stolperstein für sie wird beim nächsten Verlegtermin in der "Nach-Corona-Zeit" verlegt werden.

Quellen:

  • Meldekarten der Gemeinde Ruppichteroth (Historisches Archiv der Gemeinde)
  • Die Internierung der Juden in Much, Bruno H. Reifenrath, 1982
Vor dem Lager Much: Aufenthalt im „Judenhaus" in Ruppichteroth, Mucher Straße 31

Alle 6 ins Lager Much eingelieferten jüdischen Mitbürger aus Ruppichteroth wurden anschließend in verschiedenen KZs ermordet.

Wie wir aus den Daten oben ersehen können, sind alle von ihnen (und weitere jüdische Mitbürger) in einer offensichtlich gemeinsam durchgeführten Aktion am 24.07.1939 von Ruppichteroth nach Köln gezogen. Dies ist durch die Meldekarten im Archiv der Gemeinde belegt. Die Adressen in Köln (Brabanter Straße 27, Brüsselerstr. 50 und 67) waren Adressen von Bekannten oder Verwandten. Die nach Köln umziehenden Personen taten dies in der Hoffnung, dass sie aus der Großstadt Köln ihre geplante Ausreise aus Deutschland besser organisieren konnten. Dies gelang einigen tatsächlich. Andere, wie z. B. alle oben aufgeführten, wurden jedoch nach kurzer Zeit von der Stadt Köln wieder zurück nach Ruppichteroth geschickt, weil sie keine Aufenthaltsgenehmigung für Köln hatten. Moses und Henriette sind sogar innerhalb von 3 Monaten zweimal nach Köln gezogen und wurden zweimal zurückgeschickt. Als sie dann nach Ruppichteroth zurückkehrten, hatten die Nazis schon mit der Arisierung und damit mit dem Verkauf der ehemals jüdischen Häuser und Grundstücke begonnen:  „Für den 18.7.1939 lud das Kulturamt Siegburg ein zur Prüfung der Frage der Verwertung der jüdischen Ländereien im Siegkreis. In Ruppichteroth fand die Prüfung an diesem Tage von 15:10 – 16:10 statt. Man ging von einer Fläche von 13,09 ha in jüdischem Besitz aus"  (Quelle: Akten im Archiv des Rhein-Sieg-Kreises ARSK, SK, Nr. 3159 und 5051).
Die nach Ruppichteroth zurückkehrenden Personen konnten also nicht mehr in ihre früheren Häuser einziehen, sondern wurden im sogenannten „Judenhaus" (früheres Haus der Fam. Isaak) in der Mucher Straße 31 untergebracht. Dies war eine weitere Demütigung für die Familien, die früher in ihren eigenen Häusern und auf eigenem Grund und Boden in Ruppichteroth gewohnt hatten.
Am 18.6.1941 mussten sie auch dieses Haus in der Mucher Straße verlassen. Sie wurden ins Lager Much eingeliefert. Der verstorbene Alfons Goller (Hambuchen) hat bilderbuch-ruppichteroth.de noch erzählt, dass er diesen Transport mitbekommen hat, als vor der elterlichen Gaststätte in Hambuchen stand: „Die Juden saßen auf dem Pferdewagen. Hinten saß ein Bewacher mit Gewehr. ... Diesen Anblick habe ich in meinem ganzen Leben nicht vergessen können."

Brief von Moses Hess aus dem Lager Much:

In seinem Buch „A Refugee’s Journey“, New York 2018,  veröffentlicht  Walter Hess den Brief seines Großvaters Moses Hess vom 23.06.1942, den dieser aus dem Lager herausschmuggeln konnte.
Walter Hess schreibt (S. 163):
„Einige Zeit nach dem Ende des 2. Weltkriegs erhielten meine Eltern zu ihrer großen Überraschung einen Brief, der von meinem Opa Moses geschrieben worden war. Der Brief war aus dem Lager Much herausgeschmuggelt worden zu einem mit ihm befreundeten Bauern, der ihn dann nach dem Krieg zu uns nach New York schickte:

Lager Much, 23. Juni 1942
Meine Lieben,
Unser Ende ist sehr nahe. Eine dicke dunkle Linie ist quer durch unsere Leben gezeichnet worden. Bis jetzt sind die Dinge noch ziemlich gut gelaufen … Die letzten 13 Monate haben wir im Lager Much gelebt. Durch die Freundlichkeit der örtlichen Menschen sind wir gut behandelt worden, möge Gott diese Leute für ihre Freundlichkeit segnen. Aber, meine Lieben, bald werden wir diesen Platz und unser geliebtes Rheinland verlassen. Wir alten und alle anderen alten werden nach Theresienstadt* in Böhmen geschickt – die jüngeren werden zur Zwangsarbeit geschickt, darunter Tante Lydia. Onkel Julius hat sein Ende erreicht. Er wurde in Buchenwald „auf der Flucht erschossen“. Wenn ihr vielleicht in einigen Jahren diesen Brief sehen werdet, denkt an uns in Freundlichkeit und mit Respekt. … Gott segne dich lieber Oscar, alle deine Kinder, und deine liebe Melli. Und denkt manchmal, an guten oder schlechten Tagen, an uns, eure Eltern,  an uns, die wir nun zum Tode gejagt. … Oma ist ganz gesund trotz der harten Arbeit, die sie verrichten muss. Wir haben viel zu tun hier im Lager. Wir machen Gummi-Leggings und Uniformen für das Militär und Oma sitz den ganzen Tag von morgens bis spätabends an einer elektrischen Nähmaschine. Im Januar bin ich in Köln an der Blase operiert worden – es schmerzt noch, aber es ist nicht kritisch. Ich habe mich noch nicht vollständig erholt. Und nun meine Lieben, möge Gott euch und eure Kinder segnen – erzieht sie zu ehrenwerten und nützlichen Menschen und haltet uns in Erinnerung.
Unsere guten Dinge sind  bei Joseph Lauf und Johann Haas versteckt und wenn der Frieden zurückkehrt, könnt ihr Kontakt zu ihnen aufnehmen. Ich werde dann nicht mehr leben, aber meiner Einschätzung nach, solltet ihr Oma wieder sehen. Ich werde siebzig sein, wenn der Krieg endet. Nun, noch einmal mein Wunsch ist nur, dass ihr und eure Kinder gute Dinge haben/erleben werdet.
Euer Opa und eure Oma

Anmerkungen:
Sohn Oscar Hess und seine Familie konnten 1939 über Holland zuerst nach Ecuador und dann nach New York, USA, fliehen. 
Die ausführliche Lebensgeschichte der Familie Hess finden Sie rechts unter „Fam. Hess".

*Theresienstadt: man erzählte den Lagerbewohnern bis zuletzt, dass sie nach Theresienstadt gebracht würden. Dort würde jeder ein Stück Land erhalten um sich und seine Familie versorgen zu können.

Aus dem Englischen zurückübersetzt von Wolfgang Eilmes.