Bilderbuch Ruppichteroth

Wer war dieser SS-Mann, der die Ruppichterother Synagoge angezündet hat?

Die Ruppichterother Synagoge wurde am 10.11.1938 im Rahmen der Aktionen der sog. Reichspogromnacht morgens um 7:15 angezündet.
In einem der ersten Berichte hierüber schreibt Karl Schröder 1978, dass die Zivilisten, die die Synagoge angezündet hatten, der Oberbergischen SS angehörten. „Sie wurden von ihrem Sturmführer S. angeführt“ (Schröder, S. 249). Mehr erfahren wir damals noch nicht über die Brandstifter.
Wahrscheinlich war die Zeit noch nicht gekommen, dass man die Namen offen nennen konnte/sollte/musste.

1983, nur wenige Jahre später, wird Dr. Heinrich Linn, der ehemalige Leiter des Kreisarchivs schon deutlicher:„Der Führer des Zerstörungstrupps in Ruppichteroth gab sich den Amtsstellen bekannt: Es war der SS-Obersturmführer Schlauderer aus Gummersbach.“ (Linn,  S. 209)

Sowohl Karl Schröder als auch Dr. Heinrich Linn beziehen sich in ihren Aussagen auf die Berichte des Ruppichterother Gendarmeriemeisters Laddach (vom 10.11.1938) sowie des Bürgermeisters Manner (vom 15.11.1938) an den Landrat des Siegkreises.
In beiden Berichten lesen wir, dass die „SS-Männer aus dem Oberbergischen“ in Zivil gekleidet waren. Dies war eine wohl deutschlandweit verabredete Taktik der SS. Man wollte die Bevölkerung, die das Vorgehen der Nazis gegen die Juden in großem Maße missbilligte, glauben lassen, unbekannte Zivilisten hätten ihre Wut an den Juden ausgelassen. Die lokalen SS-Leute wollte man hierdurch vor der Wut der Bürger über die Behandlung der Juden schonen, ihnen unbekannte „Zivilisten“ übernahmen die Taten für sie.

„Zerstörungstrupp“, „2 PKW“ – an der Brandstiftung waren wohl mehr als die bisher immer erwähnten 2 Personen beteiligt

Die Berichte des Gendarmeriemeisters Laddach enthalten weitere Informationen zu den beteiligten Personen. Laddach schreibt, dass „2 Mann kurz nach 7 Uhr die Synagoge angesteckt haben, die mit dem Kraftwagen IZ 86897 gekommen waren“.
Auf der nächsten Seite seines Berichtes schreibt Laddach:   „Ich habe dann die Papiere des Kraftwagenführers, der den fremden Zerstörungstrupp nach Ruppichteroth brachte, nachgesehen: Erich Jünger, geb. am 24.7.09, wohnhaft in Gummersbach, Kraftwagen I Z 32699. Alle trugen Zivilkleidung, niemand war in Uniform.“

„Zerstörungstrupp“, Kennzeichen „IZ 86897“ und   „IZ 32699“, „Alle…“  ?:
Offensichtlich waren 2 PKWs und ihre Insassen, also mehr als die bisher immer erwähnten  „2 SS-Männer aus Gummersbach“ an der Aktion beteiligt.
Namentlich bekannt als Brandstifter in Ruppichteroth sind:
Matthias Schlauderer
Erich Jünger
beide aus Gummersbach

Matthias Schlauderer – der Chef der Oberbergischen SS – Hintergrund und Gesinnung

In einem Buch der NSDAP („Buch des Oberbergischen Kreises“) – herausgegeben anlässlich des Kreistags der NSDAP Oberbergischer Kreis 1939 – erfahren wir mehr über diesen  SS-Mann Matthias Schlauderer, seinen Hintergrund und seine Gesinnung.
Unter dem Titel „Die Entstehung der oberbergischen Schutzstaffeln“ schreibt  Schlauderer:
„Im Kampfjahr 1928 wurde anläßlich einer politischen Versammlung der NSDAP, auf welcher Dr. Ley sprach, die SA in Brüchermühle gegründet. Dr. Ley sprach davon, daß es auch noch eine andere Formation gebe, und zwar die SS, das heiße „Schutzstaffel“. Diese Männer waren besonders ausgesucht und gehörten zu den mutigsten und treuesten. Sie hatten die Aufgabe das Leben des Führers und der politischen Redner zu schützen, das Zustandekommen der Versammlungen zu  verbürgen und Saalschutz zu stellen. Ueberall da, wo besonders große Gefahr war, wurde SS eingesetzt. …"

So wirkte die Oberbergische SS: „...blutige Köpfe und Scherben, aber unsere Sache hat auch da gesiegt."

„Die oberbergische SS stellte Saalschutz bis nach Köln, sogar bis Koblenz. … Manche Saalschlacht wurde ausgetragen; stets waren die SS-Männer Herr der Lage und sorgten dafür, daß die Veranstaltung ungestört zu Ende gehen konnte. …
Das Hinausbefördern von Ruhestörern und Zwischenrufern aus Versammlungen war eine Spezialität der SS geworden. 1930 wurde der SS-Trupp zum Sturm Waldbröl erweitert. Am 23.1. 1931 war eine Saalschlacht in Engelskirchen. Mitten im schwärzesten Zentrumsgebiet sollte eine Nazi- Versammlung mit Dr. Ley als Redner stattfinden. Der im oberbergischen bekannte Hetzer und Redakteur Schiefeling von der„Bergischen Wacht“ rief seine sämtlichen Anhänger zur Gegenaktion auf. Die ganze schwarz-rote Gesellschaft war im Saale angetreten, die SS und SA war aber nur klein an Zahl; die Lage war daher sehr kritisch. Die Männer waren gut über den Saal verteilt. In kurzer Zeit schon setzte ein wüstes Zwischenrufen und ein furchtbarer Lärm ein. Man will die Versammlung sprengen. Da geht die SS und SA zum Angriff vor. Wie Maschinen hämmern die Tische und Stuhlbeine der Männer auf den Köpfen der Gegner. Der mit großem Schneid durchgeführte Angriff bringt die ganze rote, eiserne und schwarze Front ins Wanken. Durch Türen und Fenster flüchten die erst so mundstarken Gegner. Es gab zwar viele blutige Köpfe und Scherben, aber unsere Sache hat auch da gesiegt.
Die oberbergische Schutzstaffel verschaffte sich weit und breit Ansehen bei unseren Anhängern und Angst und Furcht bei den Gegnern. Besonders stolz waren die Männer, wenn bei Versammlungen in Köln, auf welchen der Führer sprach, der oberbergische Sturm zur besonderen Verfügung bereitgestellt wurde …. Es gab nur ein Entweder Oder, Siegen oder Sterben für den Führer und die Partei, aber unsere Arbeit wurde belohnt, auch wir haben zum endgültigen Sieg beitragen dürfen."

Diese Zeilen machen mehr als deutlich, wer dieser Schlauderer war, den man nach Ruppichteroth geschickt hatte. Er war der oberste SS-Mann in der Region, er war ein Mann, der Gewalt guthieß und stolz darauf war, dass seine Leute diese ausübten. („Siegen oder Sterben“).
Auch wird durch seine Aktion in Ruppichteroth deutlich gemacht, dass die Ruppichterother Synagoge wohl eine besondere Bedeutung in der Region hatte. Warum sonst schickte man den ranghöchsten SS-Mann der Region aus Gummersbach nach Ruppichteroth?

Gendarmeriemeister Laddach droht Schlauderer mit Verhaftung

Warum die Zerstörung der Synagoge in Ruppichteroth nicht gelungen ist, habe ich an anderer Stelle ausführlich erklärt („Stein brennt nicht“, s. rechte Spalte: Faktencheck 1,). Ein weiterer Grund sollte jedoch unbedingt genannt werden:
das beherzte Auftreten von Gendarmeriemeister Laddach, der dem SS-Mann Schlauderer seine Grenzen aufzeigte und ihm sogar mit Verhaftung drohte. Zwischen ihm und Schlauderer gab es eine heftige Auseinandersetzung. Laddach schreibt:  „Er zeigte mir hierauf von weitem einen Ausweis. Ich konnte aber auf die große Entfernung hin nicht einmal das Paßbild erkennen und bat ihn für die Einsichtnahme um Aushändigung des Passes. Er steckte aber den Ausweis wieder ein und verweigerte die Aushändigung. Er sagte zu mir, er hätte für diese Zerstörung einen Befehl vom Reichsführer SS. … Hierauf fuhren sie zum Verwalter Lövenich in Ruppichteroth, der auch der SS angehört. … Er (Anm.: Schlauderer) rief von dort die S.A. in Siegburg an und beschwerte sich über mich. Die S.A. verlangte mich an den Apparat. Als ich meinen Namen am Apparat nannte, schrie mich einer an, wie ich dazu käme, die S.A. zu stören.“

Zur Rolle der Ruppichterother Polizei schreibt Karl Schröder 1981 :
„Der Slogan vom Polizisten als deinem Freund und Helfer traf für die damalige Ruppichterother Polizei in besonderem Maße zu. Der Gendarmeriemeister Franz Laddach riskierte durch sein tapferes Verhalten nicht nur seine Karriere. Auf Befehl des … „Polizeiführers West“ - eines  SS-Obergruppenführers - wurde er sofort vom Landrat beurlaubt,  „andernfalls werde er durch die SS festgenommen.“ Erst nach geraumer Zeit durfte er seinen Dienst wieder ausüben. Ein anderer Ruppichteroth der Ordnungshüter, der in Schönenberg  wohnende Polizeihauptwachtmeister Wilhelm Schmitt, nahm das greise Oberhaupt der jüdischen Gemeinde, Moses Hess, der in seiner Verzweiflung zu ihm geflohen war und ihn um Schutz bat, bei sich auf, tröstete und versteckte ihn, bis die SS abgezogen war."

Weiter nach Schönenberg - zum Jüdischen Übernachtungshaus „Bröltalheim"

Nachdem SS-Obersturmführer Schlauderer als Anführer der Brandstifter erkannt hatte, dass eine weitere Zerstörung der der Ruppichterother Synagoge nicht erfolgversprechend war (s.o. „Stein brennt nicht“), beschloß er nach Schönenberg zu fahren.
Hierzu schreibt Bürgermeister Manner in seinem Bericht: „Sturmführer Schlauderer erklärte mir, sie wollten nun nach Schönenberg, um das sogenannte Jüdische Übernachtungsheim  „Bröltalhaus“ in Flammen aufgehen zu lassen. Ich habe Schlauderer darauf hingewiesen, dass an diesem Hause die Partei wie auch die Gemeinde ein Interesse habe, da wir hofften, dass dieses in unseren Besitz übergehe und wir dasselbe für Parteizwecke oder HJ verwenden wollten, er möge nichts beschädigen. Schlauderer sagte mir, es ist gut, dass ich Bescheid weiß, es wird nichts beschädigt. Es ist auch nichts beschädigt worden."

Nächste Station der Zerstörung: Jüdischer Friedhof in Nümbrecht:

In der „Geschichte des Oberbergischen Kreises - 1918 - 1999" (S. 115) erfahren wir,  dass „Schlauderer und andere SS-Mitglieder“ ... auf dem Rückweg (Anm.: von Ruppichteroth/Schönenberg nach Gummersbach) einen Teil des jüdischen Friedhofs in Nümbrecht“ demoliert haben.

Dies wird auch von Anne Vogelmayr in ihrem Buch über die Jüdische Gemeinde in Nümbrecht (S. 101) erwähnt. Sie spricht ebenfalls von einer „Gruppe“  von Zerstörern:
„Eine andere Gruppe hatte zunächst in Ruppichteroth die Synagoge in Brand gesteckt und war anschließend zu unserem Friedhof gefahren, um ihn, angeblich mit Beteiligung unserer Nachbarin zu zerstören. Den Rest besorgten Schüler der Nümbrechter Volksschule mit ihrem Lehrer.“

Literatur/Quellen:

Schröder, Karl, Die Gemeinde Ruppichteroth zur Zeit des Nationalsozialismus, in: Ruppichteroth im Spiegel der Zeit, Band 2, 1978
Schröder, Karl, Die Synagoge in Ruppichteroth und das jüdische „Übernachtungsheim" in Schönenberg, in Rheinische Heimatpflege, 18. Jahrg., 2,1981
Linn, Heinrich Dr., Juden an Rhein und Sieg, Siegburg 1983
Schlauderer, Matthias, Die Entstehung der oberbergischen Schutzstaffeln, in: Buch des Oberbergischen Kreises, 1939
Vogelmayr, Anne, Mein Name ist Meta Herz, Nümbrecht 2000